Kräuterkunde
»Würmer«, Käfer und Insekten, die durch die Körperöffnungen Eingang finden. Diese Introjektionen brauchen nicht unbedingt materieller Natur zu sein. Es kann sich durchaus um Entitäten handeln, die nur in einer »astralen« Dimension vorhanden sind und die der hellsichtige Schamane durch Kristalle oder die Einnahme von psychedelischen Kräutern »sehen« und anschließend herausräuchern oder heraussaugen kann. Wenn der Heiler dann triumphierend den kleinen blutigen Wurm oder das hineingezauberte Haar vorzeigt, bedient er sich notwendigerweise der Kunst der Taschenspielerei – das Sichtbarmachen, die »Visualisation« ist jedoch ein wichtiger Aspekt der Heilungsvorgangs.
Wenn man die pathogenen Fremdkörper – heute sind es Viren und Mikroben statt Zaubersteinchen und Geisterwürmer – schon an den Eingangspforten des Körpers abwehren kann, bedarf es keines aufwendigen Heilvorgangs, um sie loszuwerden. Wenn sie, von der Luft oder vom Staub getragen, in die Lungen gelangen, kann ein heftiger Expirationsstoß durch den Mund (Husten) oder durch die Nase (Niesen) sie wieder hinausbefördern.
Das Niesen gilt bei den meisten Völkern nicht nur als physischer, sondern auch als seelischer Reflex, der der Abwehr schädlicher, unsichtbarer Entitäten dient. In der Tat ist die Nase so etwas wie ein Schwellenhüter, der unsere leiblich-seelische Integrität wahrt. Der Riechsinn ist der älteste der Sinne. Die Nasenschleimhaut mit ihren 10 Millionen Riechrezeptoren ist unmittelbar mit dem Zentralnervensystem verbunden. Die Reize gehen direkt ins Unbewußte, rühren an den Trieben und Emotionen und rufen lang verschüttete Erinnerungen wach. Die olfaktorischen Wahrnehmungen gehen besonders tief und sind besonders fein, und vielleicht ist unser Unbewußtes doch in der Lage, die »unsichtbaren, krankmachenden Wesenheiten« riechend wahrzunehmen. Das unterschwellige Meer der angenehmen und unangenehmen Gerüche bestimmt unsere Sympathien und Antipathien.
Was diese Pforte passiert und was abgewiesen wird, ist im wahrsten Sinne des Wortes schicksalsentscheidend. Kein Wunder, daß »Gesundheit«, »Helf Gott« und andere Heil- und Segenswünsche bei den meisten Völkern den Niesvorgang begleiten. Oder daß das Niesen (wie auch sein Gegenteil, das Gähnen) bei schamanistischen Seancen häufig das Erscheinen eines Hilfsgeistes oder eines anderen »Jenseitigen« ankündigt.
Der indische Ayurveda rät uns, das Niesen auf keinen Fall zu unterdrücken. Falsche Vorstellungen, die sich in der Seele einnisten wollen, werden genauso hinausgepustet wie unangebrachte Sexualphantasien. Auch in unserer Kultur schenkte man dem Niesen viel Beachtung. Bei den Kelten hieß es, indem ein krankes Kind niest, treibt es die bösen Geister aus, und der Zauber ist gebrochen. Im Mittelalter glaubte man, das Niesen verrate die Anwesenheit von Geistern. Konsequenterweise wurde das Pulver der
schwarzen Nieswurz
(
Helleborus
), genau wie das des
weißen Germers
(
Veratrum
) Besessenen und Geisteskranken verabreicht. Die humorpathologischen Ärzte verwendeten die schwarze Nieswurz, um »schlechte Säfte« zu purgieren: die ins Hirn gestiegene »schwarze Galle«, die Depressionen (Melancholie) verursacht; die übermäßige Ansammlung von Schleim, der träge und phlegmatisch macht, und die gelbe Galle, die jähzornig macht.
Noch bis in dieses Jahrhundert galt Niesen als gesund. Man schnupfte den »Schneeberger«, der neben Tabak auch
Nieswurz
und
Maiglöckchen
pulver enthielt, um »das Gehirn zu reinigen«.
Wenn unser wunderbares Riechorgan aufgrund von Schnupfen oder Grippe versagt, helfen uns verschiedene Kräuter. Tees aus
Holunderblüten, Augentrost
und
Goldrute
helfen, den Schnupfen schnell loszuwerden. Dazu kann man Dampfinhalationen mit Heilpflanzen machen, die ätherische Öle enthalten, wie
Kamille, Eukalyptus
oder
Fichtennadeln
.
Auch das Blinzeln und der Tränenfluß gehören zu den ersten Abwehrreaktionen. Wenn diese Abwehr versagt und Staub oder Wind die Augen irritieren und Bindehautentzündungen, Gerstenkörner oder Triefaugen hervorrufen, so ist dagegen manch Kräutlein gewachsen. An erster Stelle steht der
Augentrost
(
Euphrasia officinalis
). Die alten Ärzte erkannten in der blaßvioletten Blüte mit der dunkelvioletten Äderung und dem gelben Pünktchen die Signatur eines kranken Auges. Wenn man gereizte Augen mit Augentrosttee ausspült – entweder mit einem Augenbad oder einem Umschlag – gehen die Beschwerden rasch zurück.
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