Kräuterquartett 01 - Das Rascheln von Rosmarin
Burghofes in Sicherheit befand und klarer denken konnte, überkam sie plötzlich ein großes Unbehagen. Sie war nur so frech angesprochen worden, weil sie wie ein Bauernweib aussah – in einem schlichten Umhang, ohne Kopfbedeckung oder Brusttuch, das Gesicht verdreckt und ihr Haar zerzaust, wie sie da die Dorfstraßen des Nachts entlang stapfte ... nun, in der Tat, was hätte der Mann sich auch anderes denken können?
Er hatte nur gedacht, was jeder andere gedacht hätte: Nur Huren liefen nachts durch die Gassen.
Sie fragte sich, wer er wohl war. Derart vornehm gekleidet und auf einem Pferd dieser Art ... sicherlich war er kein Gast ihres Vaters. Nein, natürlich nicht. Er hätte sich dem Burghof genähert, anstatt ins Dorf zu reiten. Und – Maris schaute nach hinten zum mittlerweile wieder herabgelassenen Fallgitter – niemand meldete sich zu so fortgeschrittener Stunde mehr an, also musste er sich wohl auf die Suche nach einer Schenke gemacht haben.
Wer auch immer er war, sie bezweifelte, dass sie ihn jemals wieder zu Gesicht bekam. Und selbst wenn es dazu kam, der Mann würde sie niemals als die erschöpfte, zerlumpte Frauengestalt auf der Straße wiedererkennen.
Maris trat unauffällig in die große Halle ein und war überrascht dort ihren Vater auf seinem Stuhl bei dem hell flackernden Feuer zu erblicken. Der Leibeigene, der sich des Nachts um das Feuer kümmerte, schlief zusammengerollt auf seiner Schlafstatt in der Ecke, nahe genug, um zu spüren, wann die Flammen zu sehr niederbrannten.
„Papa“, rief sie leise in Anbetracht der Schlafstätten für die Soldaten, die nur ein aufgehängtes Leintuch von dem Teil des Saales trennte, wo sie stand. „Was tut Ihr hier, immer noch wach? Ihr solltet doch ruhen“, machte sie ihm Vorhaltungen. Nichtsdestotrotz war sie erleichtert und entzückt ihn zu sehen. „Meine Tochter“, er blickte von einem Schachbrett hoch. „Ich hatte schon angefangen mir Sorgen um dich zu machen, aber Vater Abrahams Diener schickte mir Nachricht, dass es eine schwierige Niederkunft war.“
Maris ließ sich im Sessel ihrer Mutter nieder und nahm dankbar die dicke Scheibe Brotes entgegen, die ihr Vater ihr anbot. „So war es – es sind zwei Kleine gekommen. Zwei Buben. Sie sind wohlauf und heulen um die Wette und sind heilfroh auf dieser Welt angelangt zu sein.“
„Du tust gute Werke, Maris. Du bist gut zu den Menschen hier und ich bin stolz auf dich.“
Sie spürte, wie ihre Brust sich beim Hören der Worte ihres Vaters mit Stolz füllte und auch, als sie das Lächeln auf seinem Gesicht sah. „Ich danke Euch, Papa. Ihr wisst, wie ich Langumont liebe, und seine Menschen ganz besonders – Euch natürlich am allermeisten.“
Merle setzte sich auf seinem schweren Sessel zurecht. „Maris, ich wäre fast nicht mehr hier unter uns, um dich noch einmal lebend zu sehen“, sagte er, als er seinen Blick wieder ihr zuwandte. „Ich war schwer verwundet und nur durch die Gnade des Allmächtigen und die Hilfe eines anderen Mannes liege ich jetzt nicht tot auf einem Schlachtfeld. Das war der Grund für meine späte Heimkehr.“
„Aber Papa, warum habt Ihr keinen Boten zu uns geschickt. Ich wäre gekommen–“
Er lächelte, während er ihr die Hand streichelte. „Ich weiß, das hättest du getan, meine Tochter, und ich hätte mir keine bessere Pflegerin wünschen können, um mich wieder gesund zu machen. Ich habe keinen Boten geschickt, weil ich deine Mutter nicht beunruhigen wollte.“ Er seufzte und ließ ihre Hand los, um sich über den Bart zu fahren. „Wie ich da so lag, entschlossen weiterzuleben, ging mir auf: wenn ich dort meinen letzten Atemzug getan hätte, hätte ich dich und deine Mutter alleine und schutzlos zurückgelassen. Und Langumont ungeschützt.“
Leichtes Unbehagen überfiel sie. Was versuchte er ihr gerade zu sagen? „Wir wären nicht schutzlos gewesen, Papa. Sir Raymond ist hier und...“ Sie verstummte und faltete die Hände in ihrem Schoß, betrachtete die von Kräutern eingefärbte Haut und die zerkratzten Finger. Die Hände einer Magd, nicht die einer großen Herrin.
„Es ist Zeit dich zu vermählen, Maris“, sprach er leise zu ihr, aber es lag eine Bestimmtheit in seinem Ton, die keinen Widerspruch duldete.
Ihr Augen erhoben sich abrupt, um ihn entsetzt anzublicken. „Aber ich wünsche nicht mich zu vermählen, Papa!“
„Das weiß ich“, antwortet er, seine Worte ruhig und gelassen, „aber du
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