Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
einer Spur sinnloser Gewalt folgt. Ich verspreche, ich werde mich zurückhalten - ich sehe mich nur um, ob wir später vielleicht irgendwelchen vielversprechenden Spuren folgen können. Ich hinterlasse heute abend eine Nachricht, wenn ich weiß, wo ich wohne. Muß jetzt los. Sei vorsichtig, Rob.«
    »Scheiße«, sagte Gentry leise, als er den Hörer aufgelegt hatte. Er wählte seine Nummer noch einmal an, atmete tief durch, während seine eigene Stimme ihn bat, eine Nachricht zu hinterlassen, und sagte nach dem Piepton: »Natalie, gottverdammt, bleib nicht in Germantown oder Philadelphia oder wo du auch stecken magst. Jemand hat dich am Heiligabend gesehen. Verdammt, wenn du schon nicht in St. Louis bleiben willst, dann komm wenigstens zu mir nach New York. Es ist dumm, wenn wir getrennt herumlaufen und Joe Hardy und Nancy Drew spielen. Ruf mich hier an, sobald du diese Nachricht gehört hast.« Er nannte die Telefonnummer des Hotels und seine Zimmernummer, dann wartete er einen Moment und legte auf. »Verdammt«, sagte er. Er schlug so fest mit der Faust auf den billigen Schreibtisch, daß dieser erbebte.
    Gentry fuhr mit der U-Bahn ins Village und stieg in der Nähe von St. Vincent aus. Während der Fahrt blätterte er in seinem kleinen Notizbuch und ging sämtliche Notizen durch, die er sich gemacht hatte: Sauls Adresse, Natalies Bemerkung, daß er eine Haushälterin namens Tema hatte, seine Durchwahl an der Columbia, die Nummer des Dekans, die Gentry vor fast zwei Wochen schon einmal angerufen hatte, die Nummer der verstorbenen Nina Drayton. Nicht viel, dachte er. Er rief in der Columbia an und ließ sich bestätigen, daß bis Montag niemand in der Psychologischen Fakultät sein würde.
    Die Gegend, wo Saul wohnte, paßte kaum zu den Vorstellungen, die Gentry vom Leben eines New Yorker Psychiaters hatte. Der Sheriff vergegenwärtigte sich, daß Saul mehr Professor als Psychologe war, und dann schien die Gegend angemessener. Bei den Gebäuden handelte es sich überwiegend um drei- bis vierstöckige Mietshäuser, Restaurants und Imbißhallen fand man an jeder Ecke, und das Ganze hatte in seiner Kompaktheit fast schon das Flair einer Kleinstadt. Einige Paare eilten vorbei - eines zwei Männer, die Händchen hielten -, aber Gentry wußte, die meisten der hiesigen Anwohner würden in der Innenstadt zu finden sein, in Verlagshäusern, Maklerbüros, Buchhandlungen, Agenturen und anderen Käfigen aus Stahl und Glas, alle irgendwo zwischen Sekretärin und Vizepräsident, womit sie sich die notwendigen Tausender verdienten, um ihre zwei oder drei Zimmer im Village zu mieten, während sie auf das große Ereignis warteten, den Durchbruch, den unausweichlichen Aufstieg in die Chefetagen, ins größere Büro mit den Eckfenstern und die kurze Taxifahrt nach Hause in ein Sandsteingebäude der Park Avenue West. Der Wind wehte böig. Gentry schlang den Mantel enger um sich und eilte weiter.
    Dr. Saul Laski war nicht zu Hause. Was Gentry nicht überraschte. Er klopfte noch einmal, dann blieb er eine Zeitlang auf dem schmalen Treppenabsatz stehen, lauschte dem gedämpften Murmeln von Fernsehern und Kindergeschrei und roch das Aroma von Corned beef und Grünkohl vergangener Jahrzehnte. Dann holte er eine Kreditkarte aus der Tasche und öffnete das Schloß. Gentry schüttelte den Kopf; Saul Laski war ein auf nationaler Ebene anerkannter Experte für Gewalt, ein Überlebender der Konzentrationslager, aber seine Wohnungssicherung ließ einiges zu wünschen übrig.
    Nach Maßstäben des Village war es eine große Wohnung - gemütliches Wohnzimmer, kleine Küche, noch kleineres Schlafzimmer und ein großes Arbeitszimmer. In jedem Zimmer sogar im Bad - standen Bücher. Das Arbeitszimmer war überladen mit Notizbüchern, Aktenordnern, Regalen voll mit sorgfältig beschrifteten Abrissen und Hunderten von Büchern - viele in Deutsch oder Polnisch. Gentry sah in jedes Zimmer, verweilte kurz bei einem Manuskriptstapel neben der IBM-Schreibmaschine und machte sich bereit, wieder zu gehen. Er kam sich wie ein Eindringling vor. Die Wohnung roch, als wäre sie seit ein bis zwei Wochen nicht mehr bewohnt gewesen, die Küche war makellos, der Kühlschrank fast leer, aber kein Staub, kein Stapel angesammelter Post, keine sonstigen Spuren von Abwesenheit. Gentry vergewisserte sich, daß keine Nachrichten neben dem Telefon lagen, ging noch einmal rasch durch alle Zimmer, vergewisserte sich, daß er keine Hinweise auf Sauls möglichen Verbleib übersehen

Weitere Kostenlose Bücher