Kraft des Bösen
den Flug um 8 Uhr 15. Der war so kurz, daß er keine Gelegenheit hatte, ernsthaft nachzudenken, aber er nahm Notizbuch und Unterlagen aus dem Handgepäck und studierte sie.
Natalie hatte vom Bombenanschlag auf das Bürogebäude des Senats am zwanzigsten Dezember gelesen und die Befürchtung geäußert, Saul könnte etwas damit zu tun haben. Gentry hatte gekontert, daß man nicht jeden Mord, Unfall oder Terroranschlag auf Laski s alternden Standartenführer zurückführen konnte. Er erinnerte sie daran, daß es im Fernsehen hieß, puertoricanische Nationalisten würden hinter dem Anschlag stecken, bei dem sechs Menschen ums Leben gekommen waren. Er legte dar, daß der Anschlag auf das Senatsbüro wenige Stunden nach Sauls Ankunft in der Stadt erfolgt sein mußte, daß sein Name nicht unter den Opfern aufgelistet worden war - obwohl man den Terroristen selbst nicht identifiziert hatte - und daß sie paranoid würde. Natalie war beruhigt gewesen. Gentry hatte immer noch seine Zweifel.
Als Gentry das FBI-Gebäude betrat, war es nach elf. Er hatte keine Ahnung, ob am Samstag jemand arbeiten würde. Die Empfangsdame bestätigte, daß Special Agent Richard Haines anwesend war, und ließ Gentry dann mehrere Minuten warten, bis sie den vielbeschäftigten Mann anrief. Sie verkündete, daß Special Agent Haines ihn empfangen würde. Gentry verbarg seine Schadenfreude. Ein junger Mann mit teurem Anzug und kümmerlichem Schnurrbart, die Jimmy-Olsen-Version eines jugendlichen G-Manns, führte Gentry in einen Sicherheitstrakt, wo sie ihn fotografierten, unveränderliche Kennzeichen aufnahmen, ihn durch einen Metalldetektor schickten und ihm einen laminierten Besucherausweis gaben. Gentry war froh, daß er die Ruger im Hotel im Koffer gelassen hatte. Der junge Mann führte Gentry wortlos durch Flure, in einen Fahrstuhl, durch einen Bereich mit dreiseitigen Kabuffs, einen weiteren Flur entlang und klopfte schließlich an eine Tür, auf der groß und deutlich Special Agent Richard Haines stand. Als Haines’ Stimme »Herein« rief, nickte der junge Mann und machte auf dem Absatz kehrt. Gentry unterdrückte den Drang, ihn zurückzurufen, damit er ihm ein Trinkgeld geben konnte.
Richard Haines’ Büro war so geräumig und geschmackvoll dekoriert, wie Gentry s Büro klein und unordentlich war. An den Wänden hingen Fotos. Gentry sah einen Mann mit kantigem Kiefer und Schweinsäuglein, bei dem es sich um den verstorbenen J. Edgar Hoover handeln konnte, der einem nicht ganz so grauhaarigen Richard Haines die Hand schüttelte, dann wurde er zu einem Sessel gewunken. Haines stand nicht auf oder bot ihm die Hand.
»Was führt Sie nach Washington, Sheriff Gentry?« fragte Haines mit seinem öligen Bariton.
Gentry verlagerte sein Gewicht in dem schmalen Sessel, um es sich bequemer zu machen, kam zum Ergebnis, daß das Ding entworfen worden war, um zu verhindern, daß die Leute es sich darin bequem machten, und räusperte sich. »Ich bin nur auf Urlaub, Dick, und hab’ gedacht, ich schau mal rein und sag hallo.«
Haines zog eine Braue hoch. Er hörte nicht auf, in seinen Unterlagen zu kramen. »Das ist nett von Ihnen, Sheriff, aber dieses Wochenende ist ziemlich hektisch hier. Wenn es um die Morde im Mansard House geht, habe ich nichts Neues, das ich Ihnen nicht schon über Terry und das Büro in Atlanta geschickt habe.«
Gentry überkreuzte die Beine und zuckte die Achseln. »Ich war nur in der Gegend und wollte mal reinschauen. Wirklich eindrucksvoll, was ihr Jungs hier vorweisen könnt, Dick.«
Haines grunzte.
»He«, sagte Gentry, »was ist denn mit Ihrem Kinn passiert? Sieht so aus, als hätte Ihnen da jemand eine Kräftige verpaßt. Ärger bei einer Festnahme gehabt?«
Haines berührte das Kinn, wo ein Pflaster einen breiten, gelblichen Bluterguß verbarg. Hautfarbenes Make-up konnte ihn nur unzureichend verbergen. Er lächelte leutselig. »Für den werde ich keinen Purple-Heart-Orden bekommen, Sheriff. Ich bin am Heiligabend gestolpert, als ich aus der Wanne wollte, und hab’ mir das Kinn am Handtuchhalter angestoßen. Ein Glück, daß ich mir nicht das Genick gebrochen habe.«
»Ja, man sagt, die meisten Unfälle passieren im Haushalt«, brummelte Gentry.
Haines nickte und sah auf die Armbanduhr.
»Sagen Sie«, fuhr Gentry fort, »haben Sie das Bild bekommen, das wir Ihnen geschickt haben?«
»Bild?« sagte Haines. »Oh, das der verschwundenen Frau. Mrs. Fuller. Ja, danke, Sheriff. Es wurde unseren sämtlichen Agenten im
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