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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ich habe die junge Dame ins Restaurant gehen sehen.«
    Gentry dankte ihm, gab dem Pagen drei Dollar Trinkgeld, damit er sein Gepäck aufs Zimmer brachte, und ging zum Eingang des kleinen Restaurants mit Bar.
    Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, als er Natalie an einem kleinen Tisch am anderen Ende des Raums sitzen sah. Er wollte zu ihr gehen, doch dann blieb er stehen. Ein kleiner Mann mit dunklem Haar und teurer Lederjacke stand an ihrem
    Tisch und unterhielt sich mit ihr. Natalie sah mit seltsamem Gesichtsausdruck zu dem Mann auf.
    Gentry zögerte nur einen Augenblick, dann reihte er sich in die Schlange an der Salatbar ein. Er sah erst wieder in Natalies Richtung, als er sich gesetzt hatte. Eine Kellnerin kam an seinen Tisch, und er bestellte Kaffee. Er aß langsam und sah nie direkt zu Natalies Tisch.
    Etwas stimmte ganz und gar nicht. Gentry kannte Natalie Preston noch keine zwei Wochen, aber er wußte, wie lebhaft sie war. Er lernte gerade erst die Nuancen ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, die so sehr Teil ihrer Persönlichkeit waren. Jetzt sah er weder Nuancen noch Lebhaftigkeit. Natalie sah den Mann vor sich an, als wäre sie unter Drogen oder lobotomisiert worden. Ab und zu sagte sie etwas, und dabei erinnerten ihre starren Mundbewegungen Gentry an die seiner Mutter im letzten Jahr nach ihrem Schlaganfall.
    Gentry wünschte sich, er könnte mehr vom Gesicht des Mannes sehen, nicht nur das schwarze Haar, die Jacke und die blassen, auf der Tischplatte gefalteten Hände. Als er sich umdrehte, sah Gentry kurz umschattete Augen, einen teigigen Teint und einen schmalen Mund mit dünnen Lippen. Nach wem hielt er Ausschau? Gentry nahm eine Zeitung vom Nebentisch und verbrachte mehrere Minuten damit, zu einem einsamen, übergewichtigen Geschäftsmann zu werden, der seinen Salat aß. Als er wieder zu Natalie sah, war er überzeugt, daß der Mann bei ihr die Aufmerksamkeit von mindestens zwei anderen im Raum auf sich gezogen hatte. Polizisten? FBI-Agenten? Israelis? Gentry aß seinen Salat auf, spießte eine davongerollte Cocktailtomate auf und fragte sich zum tausendstenmal, in was er und Natalie hineingestolpert waren.
    Was kam als nächstes? Schlimmstes Szenario: Der Mann mit den Echsenaugen war einer von ihnen, eines von Sauls Gedankenmonstern, und seine Absichten gegenüber Natalie waren nicht freundlich. Die Posten im Restaurant waren als Unterstützung für den Mann gedacht. Wahrscheinlich saßen in der Halle noch mehr. Wenn sie gingen und Gentry ihnen folgte, würde er sofort auffallen. Er mußte ihnen vorausgehen, wenn er ihnen folgen wollte - aber wohin?
    Gentry zahlte die Rechnung und ging seinen Mantel holen, als Natalie und der Mann gerade aufstanden. Sie sah Gentry aus zwanzig Schritt Entfernung direkt an, aber kein Erkennen leuchtete in ihren Augen; da war gar nichts. Gentry ging rasch durch die Halle, blieb vor der Eingangstür stehen und machte eine Prozedur daraus, den Mantel anzuziehen.
    Der Mann führte Natalie zum Fahrstuhl, wo er einem anderen Mann, der auf einem fadenscheinigen Sofa saß, eine obszöne Gebärde machte. Natalie war in Zimmer 312. Gentry hatte um Zimmer 310 gebeten. Das Hotel verfügte nur über drei Etagen mit Gästezimmern. Wenn der Mann mit den toten Augen sie nicht auf ihr Zimmer brachte, würde Gentry sie verlieren.
    Er ging rasch zur Treppe, sprang zwei, drei Stufen auf einmal nehmend hinauf, blieb keuchend zehn Sekunden auf dem obersten Treppenabsatz stehen und machte die Tür gerade noch rechtzeitig auf, daß er sehen konnte, wie der Mann Natalie in Zimmer 312 folgte. Er stand fast eine Minute da und wartete, ob einer der anderen aus der Halle folgen würde. Da sich niemand sehen ließ, schlich er leise den Flur entlang, legte drei Finger an Natalies Tür und blieb stehen. Er tastete nach dem Griff der Ruger, entschied sich dann aber dagegen. Wenn dieser Mann wie Sauls Standartenführer war, konnte er dafür sorgen, daß Gentry die Waffe gegen sich selbst richtete. Wenn er nicht wie der Standartenführer war, dann würde Gentry, glaubte er, keine Waffe benötigen.
    Himmel, überlegte Gentry, wenn ich jetzt eindringe und es ist ein guter Freund von Natalie, den sie mit hinauf gebeten hat? Er erinnerte sich an ihren Gesichtsausdruck und steckte lautlos den Universalschlüssel ins Schloß.
    Gentry stürzte schnell hinein, füllte den ganzen Durchgang aus, sah den sitzenden Mann, drehte sich um und machte den Mund auf, um etwas zu sagen. Gentry brauchte nur eine halbe

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