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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Pistole zu der wahren Gefahr um, aber es war zu spät; noch während wir uns umdrehten und in den blauen Dunst blinzelten, duckte sich der Bandenführer mit dem schweren Revolver in beiden Händen und drückte ab, drückte zweimal ab.
    Ich spürte keine Schmerzen, bemerkte aber die Treffer, als die erste Kugel Louis im Unterleib erwischte und die zweite vom Geräusch splitternder Rippen begleitet in die Brust eindrang. Ich hätte ihn trotzdem weiter >benützt<, hätte ihn die dritte Kugel nicht im Gesicht getroffen.
    Ein lautes, rauschendes Geräusch ertönte, dann verlor ich den Kontakt. Ich habe schon mehrmals den Tod von jemandem erlebt, den ich gerade >benützt< habe, aber es ist und bleibt ein beunruhigendes Erlebnis, als würde man mitten im Gespräch am Telefon unterbrochen werden.
    Ich ruhte mich einen Moment aus, spürte lediglich das Zischen des Heizofens, das schorfige Gesicht der lebensgroßen Puppe und das inzwischen deutlich vernehmbare Flüstern der Kinderzimmerwände. » Melanie «, sagten sie, » Melanie, dir droht Gefahr. Hör uns an.«
    Ich hörte ihnen zu, gleichzeitig konzentrierte ich mich wieder auf Vincent.
    Die Geräusche im rückwärtigen Teil des nach Kohle stinkenden Reihenhauses hatten aufgehört. Das Mädchen hatte keine Fluchtmöglichkeit mehr.
    Ich spürte, wie das Adrenalin durch Vincents kräftigen Körper strömte, während er dastand, die ausbalancierte, tödliche Sense hob und sicher und lautlos durch die Dunkelheit auf sie zuging.

29. Kapitel
     
    Germantown: Montag, 29. Dezember 1980
     
    Sie operierten Saul Laski am Montag nachmittag. Er war etwa zwanzig Minuten bewußtlos und danach eine Stunde benommen. Als er seine Umgebung wahrnehmen konnte - dieselbe kleine Zelle, in der er sich seit Sonntag morgen befand -, streifte er den Verband zurück und begutachtete den Schnitt.
    Sie hatten in die fleischige Stelle am Innern des Unterarms geschnitten, etwa acht Zentimeter über der verblaßten Tätowierung seiner Lagernummer. Der Eingriff war fachmännisch durchgeführt worden, die Wunde sachkundig genäht. Trotz Schwellung und wundem Gefühl nach der Operation konnte Saul einen Klumpen spüren, der vorher nicht dagewesen war. Sie hatten etwas so groß wie eine dicke Vierteldollarmünze unter dem großen Muskel des Unterarms eingepflanzt. Saul brachte den Verband wieder an und legte sich zurück, um nachzudenken.
    Er hatte eine Menge Zeit zum Nachdenken. Er war überrascht gewesen, als sie ihn am Sonntagmorgen nicht freigelassen oder zu irgendeinem Zweck benützt hatten. Er war überzeugt, daß sie ihn nicht ohne Grund nach Philadelphia gebracht hatten.
    Der Helikopter war auf einem entlegenen Winkel eines großen Flughafens gelandet, wo sie Saul die Augen verbunden und ihn zu einer großen Limousine geführt hatten. Aufgrund von Stopps und Anfahren und dem gedämpften Straßenlärm war er zum Ergebnis gekommen, daß sie durch einen belebten Abschnitt der Innenstadt gefahren waren. Einmal hörte er das Summen von Brückenstahl unter den Reifen.
    Bevor sie wieder anhielten, waren sie über unebenes Gelände gefahren. Wären die Geräusche der Stadt nicht gewesen - eine ferne Sirene, Rufe, das Rattern eines Vorortzugs, der beschleunigte -, hätte Saul gedacht, sie befänden sich auf dem Land. So aber nicht auf dem Land, sondern auf einem freien, schlammigen Gelände mit Fahrrillen mitten in der Stadt. Ein Brachgrundstück? Eine Baustelle? Ein Park? Er mußte drei Stufen hinaufgehen, ehe sie ihn durch eine Tür führten, rechts einen schmalen Flur entlang, wieder rechts. Er war zweimal gegen die Wand gestoßen und hatte den Eindruck gewonnen, daß es sich um einen Wohnwagen oder eine transportable Hütte handelte.
    Die Zelle war nicht so abgeschottet und eindrucksvoll wie die in Washington. Sie enthielt eine Pritsche, eine chemische Toilette, ein kleines Ventilatorgitter, durch das gedämpfte Stimmen und gelegentlich Gelächter drangen. Saul hätte für ein Buch getötet. Es war seltsam, wie sich der menschliche Organismus an fast jeden Zustand anpaßte, aber er konnte sich nie daran gewöhnen, ganze Tage zu verbringen, ohne eine Zeile zu lesen. Er erinnerte sich, wie er ein Junge im Getto von Lodz gewesen war und sein Vater es übernommen hatte, die verfügbaren Bücher aufzulisten und eine Art Leihbücherei aufzubauen. Manchmal nahmen diejenigen, die zu den Lagern abtransportiert wurden, die Bücher mit, dann strich Sauls Vater den Titel seufzend aus der Liste, aber normalerweise

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