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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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überhaupt, über Melanie Fullers sechsjährigen Vertrauten an Natalie übermittelt wurde.
    Die Betonanlage hinter dem nördlichen Zaun der Sicherheitszone lag im grellen Lichterschein. Zehn andere Surrogate waren eingetroffen, und Saul und Miß Sewell gesellten sich auf einem betonierten Hof zu ihnen, der so groß wie ein Basketballfeld war und von einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben wurde.
    Auf dieser Seite der Sicherheitszone waren keine grauen Stoffhosen und blauen Blazer zu sehen. Männer in grünen Overalls und schwarzen Baseballmützen aus Nylon hielten mit automatischen Waffen Wache. Nach der Lektüre von Cohens Unterlagen war Saul überzeugt, daß es sich dabei um Mitglieder von Barents privatem Wachpersonal handelte, und nach dem Verhör Harods vor zwei Monaten war er gleichermaßen sicher, daß jeder einzelne bis zu einem gewissen Grad von ihrem Herrn und Meister konditioniert worden war.
    Ein großer Mann, dessen Handfeuerwaffe im Hilfter steckte, kam nach vorn und sagte: »Also gut, Leute, ausziehen .«
    Das Dutzend Gefangene, überwiegend junge Männer, obwohl Saul auch einige Frauen - kaum mehr als Mädchen - in der vorderen Reihe sehen konnte, sahen einander dumpf an. Alle schienen unter Drogen oder Schock zu stehen. Saul kannte den Ausdruck. Er hatte ihn bei allen gesehen, die sich in Chelmno der >Grube< genähert hatten und in Sobibor aus den Zügen ausgestiegen waren. Er und Miß Sewell zogen sich langsam aus, während die meisten anderen nur herumstanden und gar nichts machten.
    »Ich habe gesagt, ausziehen!« brüllte der Mann mit der Handfeuerwaffe, worauf ein Wachmann mit Gewehr nach vorn trat und auf den erstbesten Gefangenen, einen achtzehn- oder neunzehnjährigen Jungen mit dicker Brille und Überbiß, einschlug. Der Junge kippte, ohne einen Laut von sich zu geben, nach vorn und schlug mit dem Gesicht auf dem Beton auf. Saul konnte deutlich seine Zähne brechen hören. Die neun restlichen jungen Leute legten langsam die Kleidungsstücke ab.
    Miß Sewell war als erste fertig. Saul stellte fest, daß ihr Körper jugendlicher und glatter als ihr Gesicht wirkte, abgesehen von einer unschönen Blinddarmnarbe.
    Sie ließen die Gefangenen in einer Reihe antreten, ohne Männer von Frauen zu trennen, und führten sie eine lange Betonrampe in die Erde hinab. Aus den Augenwinkeln konnte Saul flüchtig Türen erkennen, die zu gekachelten Korridoren führten, welche von diesem unterirdischen Hauptgang abzweigten. Wachmänner in Overalls kamen vor diese Türen und sahen zu, wie die Surrogate vorbeigeführt wurden, und einmal mußten sich die beiden Reihen dicht an die Wände drücken, als ein Konvoi von vier Jeeps vorbeikam und den Tunnel mit Lärm und Kohlenmonoxidabgasen füllte. Saul fragte sich, ob die gesamte Insel von diesen Überwachungstunneln durchzogen sein mochte.
    Sie wurden in einen kahlen, grell erleuchteten Raum getrieben, wo Männer in weißen Kitteln und mit Chirurgenhandschuhen ihnen in Mund und Anus und den Frauen in die Vagina schauten. Eine der jungen Frauen fing an zu schluchzen, bis sie eine der Wachen mit einem Schlag zum Schweigen brachte.
    Saul verspürte eine seltsame Ruhe, obwohl er sich fragte, woher diese anderen Surrogate kamen, ob sie schon einmal >benützt< worden waren und inwiefern sein Verhalten sich deutlich von ihrem unterschied. Vom Untersuchungszimmer wurden sie durch einen langen, schmalen Flur geführt, der anscheinend aus dem Felsgestein der Insel selbst herausgesprengt worden war. Die tropfenden Wände waren weiß gestrichen, kleine, halbkreisförmige Nischen in den Wänden boten Platz für nackte, stumme Gestalten.
    Als die Reihe stehenblieb, damit Miß Sewell ihren Platz in einer dieser Nischen einnehmen konnte, überlegte sich Saul, daß keine großen Zellen erforderlich waren, da niemand länger als eine Woche auf der Insel festgehalten wurde. Dann war Saul an der Reihe.
    Die Nischen befanden sich in unterschiedlichen Höhen, Schichten sichelförmiger Einbuchtungen mit Stahlgittern in weißem Stein, und die Nische von Saul lag einen Meter zwanzig über dem Boden. Er rollte sich hinein. Der Stein unter seiner Haut war kalt, der Sims gerade groß genug, daß er sich der Länge nach hinlegen konnte. Ein Rinnstein und ein übelriechendes Loch im hinteren Teil der Nische zeigten ihm, wo er seine Notdurft verrichten konnte. Die Gitterstäbe glitten hydraulisch von der Decke der Nische in tiefe Löcher im Sims, mit Ausnahme einer Stelle, wo eine fünf Zentimeter

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