Kraft des Bösen
des Nieselregens drang der Geruch von Rauch vom rechten Strandabschnitt zu ihm. Wenn der Sturm immer noch von Südosten kam, überlegte Saul, bestätigte die Richtung des Rauchs, daß er sich wirklich in der Nähe der Nordspitze der Insel aufhielt, aber immer noch jenseits des nordöstlichen Punkts, ein Stück vom Startplatz der Cessna und mehr als eine Viertelmeile von dem Gezeitenablauf entfernt.
Es würde Stunden dauern, sich einen Weg durch den Dschungel am Strand entlang zu bahnen, und wenn er eine Abkürzung durch den Sumpf suchte, würde er damit nur gewährleisten, daß er sich wieder verirrte.
Eine Explosion zerriß die Nacht zweihundert Meter südlich von ihm. Ein unvorstellbares Kreischen ertönte, als ein Schwarm Reiher aus ihrem Versteck emporstob und am dunklen Himmel verschwand, und dann der längere und schrecklichere Schmerzensschrei eines Menschen. Saul fragte sich, ob ein Surrogat schreien würde. Entweder das, oder es waren Bodentruppen hinter ihm her, und jemand war von einer Bombe des Helikopters erfaßt worden. Saul konnte die Rotorblätter jetzt deutlicher hören, hoch und im Süden, aber sie kamen näher. Das Rattern automatischen Gewehrfeuers war zu hören, als jemand in einem der Boote hinter der Brandung wahllos in die Mauer des Dschungels hineinfeuerte.
Saul wünschte sich, er wäre nicht nackt. Kalter Regen tropfte von den Blättern auf ihn herab, seine Beine und Knöchel taten weh, und jedesmal, wenn er an sich hinabsah, zeigten ihm die Blitze des Sturms seinen faltigen, ausgezehrten Bauch, leichenblasse Schenkel und vor Angst und Kälte geschrumpfte Genitalien. Der Anblick erfüllte ihn nicht mit der Zuversicht, mit der er in den Kampf ziehen wollte. Er wollte eigentlich nur ein heißes Bad nehmen, sich in mehrere Schichten warme Kleidung hüllen und einen ruhigen Schlafplatz suchen. Sein Körper war stundenlang von den Flutwellen des Adrenalinstoßes aufgeputscht gewesen und litt nun unter der Ebbe der Nachwirkungen. Er fühlte sich kalt, einsam und ängstlich, eine menschliche Hülle, die fast aller Emotionen beraubt worden war, ausgenommen Angst, ebenso wie aller Motivationen, a b gesehen von einem alten, atavistischen Willen zu überleben - aus Gründen, die er vergessen hatte. Kurz gesagt, Saul Laski war genau zu dem Menschen geworden, der vor vierzig Jahren in der >Grube< gearbeitet hatte, nur waren jetzt Eifer und Hoffnung der Jugend dahin.
Aber das war nicht der einzige Unterschied, stellte Saul fest, während er das Gesicht dem zunehmend heftigeren Sturm entgegenhob. »Ich bin freiwillig hier!« brüllte er auf polnisch zum Himmel, und es war ihm einerlei, ob seine Verfolger ihn hörten. Er hob eine Faust, schüttelte sie aber nicht, sondern hielt sie lediglich in die Höhe, aber ob als Zeichen von Bestätigung, Triumph, Trotz oder Resignation, das wußte nicht einmal er selbst.
Saul lief durch die Abschirmung der Zypressen, wandte sich am letzten Seegras vorbei nach links und sprintete auf den offenen Strand.
»Harod, kommen Sie herein«, sagte Jimmy Wayne Sutter.
»Einen Augenblick«, sagte Harod. Er war der einzige, der im Monitorraum geblieben war. Die Bodenkameras zeigten nichts Interessantes mehr, aber es befanden sich eine Schwarzweißkamera auf einem der Patrouillenboote vor der Nordspitze und eine Farbkamera an Bord des Hubschraubers, der Explosivladungen und Napalmkanister auf die Bäume abgeworfen hatte. Harod fand, daß die Kameraführung beschissen war - sie brauchten eine Steadicam für die Luftaufnahmen, und das Schwanken auf beiden Monitoren weckte Übelkeit in ihm -, aber er mußte zugeben, daß die Pyrotechnik alles in den Schatten stellte, was er und Willi jemals gemacht hatten, und ziemlich nahe an den Feuerorgasmus am Ende von Coppolas Apocalypse Now heranreichte. Harod war immer der Meinung gewesen, daß Coppola verrückt gewesen sein mußte, die Napalm-Szenen aus der vorletzten Fassung herauszuschneiden, und es hatte ihn nicht besonders versöhnt, daß sie in der Endfassung in den Abspann übernommen worden waren. Harod wünschte sich, er hätte ein paar Steadicams und eine Panavision-Einheit auf einem Kamerawagen für diese Nacht vorbereiten können - er hätte die Aufnahmen für etwas verwendet, selbst wenn er den Scheißfilm um das Feuerwerk herum hätte schreiben müssen.
»Kommen Sie, Tony, wir warten«, sagte Sutter.
»Einen Augenblick noch«, sagte Harod, der sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund warf und einen Schluck Wodka trank.
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