Kraft des Bösen
hin und her und wehte Zweige und Palmwedel als Schauer scharfkantiger Trümmer durch die Luft. Saul fiel stolpernd auf die Knie und schützte den Kopf mit den Armen, als das Laub mit tausend winzigen Klauen nach ihm schlug. Blitze ließen das windgepeitschte Chaos in einer Reihe stroboskopartiger Standbilder erstarren, während die Donnerschläge ineinander übergingen und einen einzigen anhaltenden Geräuschteppich bildeten.
Saul hatte sich verirrt. Er rollte sich unter einem großen Farn zusammen, als der Sturm über ihn hereinbrach, und versuchte, dem Chaos der Nacht eine gewisse Orientierung abzuringen. Er hatte die Salzmarschen gefunden, aber dann war er vom Weg abgekommen, hatte sich in dem Glauben gewogen, daß er den letzten Streifen Dschungel durchquerte, und war eine Stunde später wieder bei dem alten Sklavenfriedhof herausgekommen. Ein Helikopter flog über ihm dahin, und dessen Suchscheinwerfer sondierte das Terrain mit einer Lanze aus Licht, das nicht weniger grell als die Blitze dahinter war.
Saul verkroch sich tiefer unter dem Farn, er wußte nicht mehr, auf welcher Seite der Salzmarsch er sich jetzt befand. Als er den Sklavenfriedhof gerade wieder erreicht hatte, vor Stunden, war das große, schlaksige Surrogat mit den langen Haaren aus den Schatten hinter einer umgestürzten Mauer geschnellt und hatte sich mit Zähnen und Fingernägeln auf Saul gestürzt. Der erschöpfte, von Müdigkeit und Angst benommene Saul hatte sich den erstbesten Gegenstand geschnappt - einen rostigen Eisenstab, bei dem es sich einmal um die Stütze eines Grabsteins gehandelt haben mochte - und versuchte, den Jungen abzuwehren. Die Stange hatte den Jungen seitlich am Kopf getroffen und eine lange Platzwunde gerissen. Der Junge fiel bewußtlos zu Boden. Saul kniete neben ihm hin, tastete nach dem Puls und floh in den Dschungel.
Der Helikopter kam zurück, als Saul gerade die Deckung der Zypressen jenseits der Salzmarsch erreichte. Das Tosen des Windes übertönte jegliches Geräusch der Rotoren, obwohl die Maschine nur sechs Meter über den Bäumen flog und gegen die Böen kämpfte. Saul hatte wenig Angst vor dem Helikopter; in dem Sturm war er so instabil, daß er unmöglich als Schußplattform fungieren konnte, und er bezweifelte, daß sie ihn sehen konnten, wenn sie ihn nicht gerade im offenen Gelände erwischten.
Saul fragte sich, warum die Sonne nicht aufgegangen war. Er war sicher, daß seit Beginn seiner Qualen genügend Stunden für ein ganzes Dutzend Nächte verstrichen waren. Er befand sich seit einer Ewigkeit auf der Flucht. Saul, der am Stamm einer Zypresse kauerte, holte keuchend Luft, atmete tief durch und betrachtete seine Beine und Füße. Sie sahen aus, als hätte sie jemand mit einer Rasierklinge bearbeitet. Einen Augenblick amüsierte er sich mit der Vorstellung, daß er rot und weiß gestreifte Socken und scharlachrote Halbschuhe trug.
Der Wind ließ nach, und in der kurzen Flaute, bevor der Regen anfing, hob Saul das Gesicht zum Himmel und rief auf hebräisch: »Hoy! Was hast du sonst noch für Witze auf Lager?«
Ein greller Strahl fiel horizontal von den Zypressen her ein. Im ersten Moment dachte Saul, es wäre ein Blitz gewesen, dann fragte er sich, wie es dem Helikopter gelungen war zu landen, aber einen Augenblick später wurde ihm klar, daß es sich um keines von beiden handelte. Hinter dem Gürtel der Zypressen lag ein schmaler Streifen Strand und dahinter der Ozean. Die Patrouillenboote suchten das Ufer mit ihren Scheinwerfern ab.
Saul kümmerte sich nicht um das Licht und kroch dem Sand entgegen. Der einzige Strand auf dieser Seite der Sicherheitszone lag an der nördlichen Spitze der Insel. Er hatte es geschafft. Wie oft, fragte er sich, war er in unmittelbarer Nähe dieses Strands gewesen und hatte sich desorientiert wieder in Sumpf und Dschungel zurückgezogen?
Der Strand war an dieser Stelle schmal, nicht mehr als drei bis dreieinhalb Meter breit, und dicht dahinter schlugen hohe Wellen auf Fels. Bis zu der Flaute des Sturms hatten Wind und Donner die Brandung übertönt. Saul sank im Sand auf die Knie und sah auf das Meer hinaus.
Mindestens zwei kleine Boote, deren starke Suchscheinwerfer den Strand mit zuckenden Lanzen weißen Lichts absuchten, kreuzten da draußen hinter der Linie der Brandung. Blitze zeichneten einen Sekundenbruchteil beide Boote ab, und da konnte Saul sehen, daß sie keine hundert Meter weit draußen waren. Die dunklen Umrisse von Männern mit Gewehren waren
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