Kraft des Bösen
etwas gesagt, daß Barent seinen König ins Zentrum bringen wollte -, und winkte ungeduldig mit der Hand nach dem blutenden Juden. »Läufer auf Turm drei.«
Er sah zu, wie das Exsurrogat namens Saul über drei diagonale schwarze Fliesen auf das Feld hinkte, wo Harod eben noch gestanden hatte. Aus der Nähe sah der Mann noch schlimmer aus als aus der Ferne. Der weite Overall war mit Blut und Schweiß getränkt. Der Jude sah ihn mit dem gequälten, vage defensiven Blinzeln des unheilbar Kurzsichtigen an. Harod war sicher, daß es sich um denselben Hurensohn handelte, der ihn in Kalifornien unter Drogen gesetzt und verhört hatte. Es war ihm scheißegal, was aus dem Juden wurde, aber er hoffte, daß der Mann einige der weißen Figuren ausschalten würde, bevor er geopfert wurde. Großer Gott, dachte Harod, das ist total daneben.
Barent steckte die Hände in die Taschen und machte einen diagonalen Schritt, so daß er auf dem weißen Feld direkt vor Luhar stand. »König auf König fünf«, sagte er.
Harod durchschaute das verdammte Spiel nicht. Er hatte als Junge ein paarmal gespielt - gerade so viel, daß er wußte, wie sich die Figuren bewegten und daß ihm das Spiel nicht gefiel -, und dabei hatten er und seine hitzköpfigen Kontrahenten zuerst sämtliche Bauern ausgelöscht und dann angefangen, die wichtigeren Figuren zu schlagen. Sie hatten niemals die Könige bewegt, es sei denn, sie hatten rochiert, ein Trick, den Harod vergessen hatte, oder jemand jagte sie. Und nun waren diese beiden Schachgroßmeister hier, hatten fast nichts mehr außer Bauern und ließen die Könige rumhängen wie ein Perverser seinen Pimmel. Scheiß drauf, dachte Harod und versuchte gar nicht mehr, das Spiel zu durchschauen.
Willi und Barent standen nur sechs Schritte voneinander entfernt. Willi runzelte die Stirn, tippte sich an die Unterlippe und sagte: » Bauer ... Entschuldigung ... Läufer auf Läufer fünf.« Willi, der deutsch gesprochen hatte, sah Jimmy Wayne Sutter an und übersetzte es.
Der magere Jude hinter Harod hatte sich über das Gesicht gestrichen, war auf den schwarzen Fliesen entlanggeschlurft und stand jetzt rechts von Reynolds. Harod zählte vom Rand des Spielbretts und bestätigte, daß es sich tatsächlich um das fünfte Quadrat in der Reihe oder Linie, oder wie sie es auch immer nannten, des Läufers handelte. Er brauchte noch einmal ein paar Sekunden, bis ihm klar wurde, daß der Jude jetzt Luhars Bauernposition beschützte und gleichzeitig die Sewell auf der schwarzen Diagonale bedrohte. Die Frau schien allerdings nicht zu wissen, daß sie sich in Gefahr befand. Harod hatte schon Leichen gesehen, die lebhafter gewesen waren. Er sah noch einmal hin und versuchte, ihren Bär unter dem zerrissenen Hemd zu erspähen. Jetzt, wo ihm einige Grundregeln des Schachspiels wieder einfielen, entspannte sich Harod ein bißchen. Er sah keine Möglichkeit, daß ihm etwas geschehen konnte, wenn Willi ihn stehenließ, wo er stand. Bauern konnten Bauern, die direkt vor ihnen standen, nicht schlagen, und Reynolds war einen Schritt vor ihm rechts, zu Maria Chen gewandt, und deckte sozusagen Harods flanke. Harod sah die Sewell von oben bis unten an und überlegte, daß sie gar nicht so schlecht aussehen würde, wenn jemand sie badete.
»Bauer auf Turm drei«, sagte Barent und machte eine höfliche Geste.
Einen panischen Augenblick dachte Harod, er müßte sich wieder bewegen, aber dann fiel ihm ein, daß Barent der schwarze König war. Miß Sewell bemerkte die Geste des Milliardärs und machte einen gezierten Schritt vorwärts auf ein weißes Feld.
»Danke, meine Liebe«, sagte Barent.
Harod spürte, wie sein Herzschlag wieder zulegte. Der JudeLäufer bedrohte den Sewell-Bauern nicht mehr. Sie war einen diagonalen Schritt von Tom Reynolds entfernt. Wenn Willi sie nicht von Reynolds schlagen ließ, konnte sie Reynolds beim nächsten Zug wegpusten. Und dann wäre sie ein diagonales Feld von Tony Harod entfernt. Scheiße, dachte Harod.
»Bauer auf Springer sechs«, schnappte Willi, ohne zu zögern. Harod drehte den Kopf und versuchte zu überlegen, wie er von hier nach da gelangen konnte, aber es war Reynolds, der sich, noch bevor Willi zu Ende gesprochen hatte, in Bewegung setzte. Der blonde Handlanger trat auf das schwarze Feld auf einer Höhe mit Miß Sewell und gegenüber Maria Chen.
Harod leckte sich die trockenen Lippen. Maria Chen war nicht unmittelbar in Gefahr. Direkt vor sich konnte Reynolds sie nicht schlagen.
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