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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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noch nie jemande m erzählt . Un d e s is t ein e seh r lang e Geschichte.«
    »Schieße n Si e los« , sagt e Natalie . »Ic h hab e all e Zei t der Welt.«
     

»Ic h wurd e 192 5 i n Pole n gebo ren« , sagt e Saul , »i n de r Stadt Lodz . Mein e Famili e wa r vergleichsweis e wohlhabend . Mein Vater war Arzt. Wir waren Juden, aber keine orthodoxen J u den . Mein e Mutte r hatte , al s si e jünge r war , erwogen , zu m K a tholizismus überzutreten. Mein Vater betrachtete s ic h erstens al s Arzt , zweiten s al s Polen , dritten s al s europäische n Bürger un d ers t a n vierte r Stell e al s Juden . Vielleich t stuft e e r sein Judentu m nich t einma l s o hoc h ein.
    Al s ic h ei n Jung e war , wa r Lod z fü r eine n Jude n s o gu t wie jed e ander e Stadt . Ei n Dritte l de r sechshunderttausen d E i n wohne r ware n Juden . Viel e bedeutend e Mitbürger , Geschäft s leute und Handwerker waren Juden. Zahlreiche Freundinnen meine r Mutte r ware n akti v i m künstlerische n Bereic h tätig . Ihr Onkel spielte jahrelang im städtischen Symp h onieorchester. Al s ic h zeh n war , hatt e sic h da s weitgehen d geändert . Lokal p o litisch e Gruppierunge n ware n gewähl t worden , nachde m sie versprochen hatten, die Juden aus der Stadt zu eliminieren. Das Land wandte sich gegen uns, als wäre es vom antisemitischen Viru s angesteck t worden , de r i m Nachbarlan d Deutschland grassierte. Mein Vater gab den schweren Zeiten die Schuld, die wi r gerad e durchmache n mußten . E r wurd e nich t müde , darauf hinzuweisen , da ß sic h di e europäische n Jude n a n schubweise Pogrome , gefolg t v on Generationen des Fortschritts, gewöhnt hatten . ›Wi r sin d all e Menschen‹ , pflegt e e r z u sagen , ›trotz vorübergehender Unterschiede, die uns trennen.‹ Ich bin sicher, da ß mei n Vate r mi t diese r Überzeugun g i n de n To d gegangen ist.«
    Sau l verstummte . E r gin g hi n un d he r un d legt e di e Hände auf die Sofalehne, als er endlich stehenblieb. »Sehen Sie, Nat a lie , ic h bi n nich t dara n gewöhnt , dies e Ding e z u erzählen . Ich wei ß nicht , wa s nöti g is t un d wa s nicht . Vielleich t sollte n wir es auf ein andermal verschieben.«
    »Nein« , sagt e Natalie . »Jetzt . Lasse n Si e sic h Zeit . Si e h a ben gesagt, es könnte mithelfen zu erklären, warum mein Vater gestorben ist.«
    »Ja.«
    »Dan n los . Erzähle n Si e alles.«
    Sau l nickte , ka m nac h vor n un d setzt e sic h au f da s Sofa . Er stützte die Ellbogen au f di e Knie . Sein e Händ e ware n groß , und e r gestikuliert e bei m Spreche n dami t i n de r Luft . »Ic h war vierzehn, als die Deutschen unsere Stadt besetzten. Das war im Septembe r 1939 . Zuers t wa r e s ga r nich t s o schlimm , Si e ri c h teten einen Judenrat ein, der b e i de r Verwaltun g diese s neuen Vorposten s de s Reich s helfe n sollte . Mei n Vate r erklärt e mir, da s wär e de r Beweis , da ß ma n mi t jede m mittel s zivilisierter Diskussione n umgehe n konnte . E r glaubt e nich t a n Teufel. Obwoh l mein e Mutte r Einwänd e äußerte , meldet e sic h mein Vate r freiwilli g i n diese n Rat . E s sollt e nich t sein . Neunu n d dreißig prominente Juden waren schon berufen worden. Einen Mona t später , Anfan g November , deportierte n di e Deutschen
    di e Ratsmitgliede r i n ei n Konzentrationslage r un d brannten unser e S ynagog e nieder.
    D a wurd e davo n geredet , da ß unser e Famili e zu m Baue r n ho f unsere s Onkel s Moisch e i n de r Näh e vo n Kraka u fahren sollte . I n Lod z herrscht e bereit s ein e ernst e Lebensmitt e l knappheit. Normalerweise verbrachten wir den Sommer auf dem Bauernhof, d ahe r hatt e di e Vorstellung , mi t de m Res t der Famili e dor t z u sein , etwa s Anheimelndes . Durc h Onke l M o i sch e hörte n wi r vo n seine r Tochte r Rebecca , di e eine n amer i kanische n Jude n geheirate t hatt e un d nac h Palästin a au f ein Landgu t ziehe n wollte . Si e hatt e d i e jüngeren Familienmitgli e de r jahrelan g gedrängt , mi t ih r z u kommen . Ic h fü r meine n Teil wär e lieben d ger n au f de n Ho f gefahren . Ic h wa r bereits , wie all e andere n Juden , vo n meine r Schul e i n Lod z ausgeschlossen worden . Onke l Moisch e hatt e eins t a n de r Uni v ersität von Wa r schau unterrichtet, und ich wußte, es wäre ihm eine Freude gewesen , mi r etwa s beizubringen . Nac h neue n Gesetze n du r f te n nu r Jude n di e Praxi s meine s Vater s besuche n di e übe r wiegend in

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