Kramp, Ralf (Hrsg)
mir, wie ich die Würmer aus dem Boden treiben kann, nämlich mit einem Gemisch aus Wasser und Senf. Klingt verrückt, klappt aber tatsächlich. Ich schnappe mir drei von den Dicksten und schneide sie in der Mitte durch.
Und?!
Wer hätte es gedacht, beide Teile bewegen sich weiter. Bauer Kespohl meint jedoch, dass der Teil ohne Kopf bald sterben wird. Nur das Kopfende bildet einen neuen Schwanz, aber nicht umgekehrt, sagt er. Ich bin mir da nicht so sicher, und man soll ja nicht alles glauben, was man so hört. Daher packe ich die sechs Wurmteile in ein Einmachglas, das mir Bauer Kespohl schenkt, um die folgenden Tage zu beobachten, was passieren wird.
Auf meinem Rückweg komme ich wieder an dem Ferienhaus vorbei. Mamas Auto steht immer noch dort.
Zu Hause angekommen begrüßt mich mein Vater. Ich zeige ihm stolz das Einmachglas und die Würmer. Dann erzähle ich ihm, dass die Volkshochschule in der neuen Ferienhaussiedlung Räume hat.
Mein Vater reagiert darauf ein wenig seltsam. Er geht in den Schuppen und holt die Motorsäge heraus. Als ich ihn frage, was er damit vorhat, meint er nur: »Man kann nie wissen!«
Kaum ist Papa aus dem Haus, setze ich mich mit einem Nutellabrot vor das Einmachglas und beobachte die sechs Würmer.
Es dauert gar nicht so lange, da kommen Mama und Papa gemeinsam nach Hause. Papa sieht recht zufrieden aus, Mama weint. Ich zeige ihr die sechs Wurmteile, aber selbst das kann sie nicht aufheitern. Nicht mal zu dem Nutellaglas, das ich vergessen habe wegzuräumen, sagt sie was. Sie geht ins Schlafzimmer, und da bleibt sie dann auch erst einmal.
Ich frage Papa, was passiert ist.
»Du musst nicht alles wissen!«, sagt er und setzt sich vor den Fernseher.
Ich muss vielleicht nicht alles wissen, aber interessieren tut es mich dann doch. Daher ziehe ich mir erneut meine Gummistiefel an und gehe zu dem Ferienhaus, vor dem immer noch Mamas Auto steht. Alles sieht aus wie vorher, außer der Eingangstür, die jemand zu Kleinholz verarbeitet hat.
Vorsichtig betrete ich das kleine Haus. Im schmalen Flur liegt Papas Motorsäge auf dem Boden. Da ich schon immer wissen wollte, ob ich so eine Säge auch bedienen kann, ziehe ich am Anwerfseil.
Beim dritten Mal klappt es dann endlich. Die Säge rattert vor sich hin, und wenn ich den Gashebel drücke, bewegt sich sogar die Kette.
Ich hebe die Säge hoch und wedle mit ihr wie mit einem Laserschwert, was gar nicht so leicht ist, denn die Säge ist verdammt schwer. Wieder und wieder drücke ich den Gashebel. Voll geil!
Als das Ding so richtig schön aufheult, schnellt plötzlich eine Tür auf und ein halbnackter Mann, ich glaube, es ist ein Holländer, springt auf den schmalen Flur. Er scheint mich gar nicht zu sehen. Schreiend rennt er auf die nicht mehr vorhandene Haustür zu. Seine Brille fällt ihm von der Nase, aber darum kümmert er sich erst gar nicht.
Dummerweise schwenke ich die Säge gerade in dem Moment in seine Richtung, in dem er sich an mir vorbeidrängt. Das Geräusch, das die Säge von sich gibt, während sie sich in den Körper des Mannes frisst, ist alles andere als schön. Es erinnert mich an das Geräusch unseres Rasenmähers, wenn Papa damit über dicke Wurzeln fährt. Ich lasse den Gashebel los, aber irgendwie hat sich mein Finger zwischen Gas und Griff geklemmt, sodass die Säge weiter munter vor sich hinrattert.
Mit einem schlechten Gewissen gehe ich nach Hause. Dort erzähle ich Papa, was gerade passiert ist. Er sieht mich an, als würde ich ihm eine Sechs in Französisch präsentieren. Er ist entsetzt, aber nicht so entsetzt, wie er es bei einer Sechs in Mathe gewesen wäre. Ich meine sogar, dass er kurz grinst. Papa hasst Fremdsprachen!
Gemeinsam gehen wir mit mehreren Mülltüten und Mutters Putzzeug bewaffnet zu dem Ferienhaus rüber und machen die Schweinerei weg. Während ich das Blut von der Wand schrubbe, erklärt mir Papa, dass Mama mit dem Mann nackt im Bett gelegen hat.
»Und warum hat sie für einen Holländer Spanisch gelernt?«, frage ich ihn.
Mein Vater meint daraufhin, dass er glaubt, dass sich das mit dem Spanisch erledigt hat.
Den Mann vergraben wir zusammen mit Papas Motorsäge hinter unserem Schuppen.
»Vielleicht sollten wir ihn noch nicht vergraben? Es könnte doch sein, dass zumindest der obere Teil überlebt!«
Mein Vater schüttelt den Kopf.
»Schade«, sage ich.
Ich hätte es trotzdem gerne ausprobiert. Denn was soll ich euch sagen? Bei den Würmern hat es mit den Kopfenden tatsächlich
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