Kramp, Ralf (Hrsg)
verträumt. »Den Ball in den Garten geschossen, und dann ist der wie bescheuert hinter uns hergerannt, jedes Mal! Und wir hatten eine Angst vor dem!« Er lachte und nickte. »Ja, Gönnersdorf, das war was!« Sein Blick fiel auf Bogdan, und er erstarrte. Dessen dunkle Augen hatten eine eisige Farbe angenommen, als wollte er als nächstes Ritchie auf den Grill werfen.
»Habe ich das richtig verstanden?«, presste Bogdan zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »du kommst hier aus Gönnersburg?«
»Dorf«, korrigierte der Bürgermeister, »Gönners
dorf
, ja, das ist unser Ritchie, ist das nicht toll? Kommt nach 20 Jahren wieder und bringt seinen Mann mit!«
»Mann?«, wiederholten Bogdan und Ritchie verblüfft im Chor.
»Ach, nu tut doch nicht so! Als ob wir in der Eifel hinterm Mond leben würden! Zwei Männer, Kölner Auto, gemeinsamer Urlaub …«, rief Theo.
»Ja, das habe ich doch gleich gewusst, als Ihr die Kinder nicht ins Schlafzimmer lassen wolltet«, quiekte Jutta vergnügt.
»Schlafzimmer, ja, genau«, stotterte Ritchie.
»Und wenn ihr noch nicht verheiratet seid, dann kann ich das schnell nachholen, kein Problem«, lachte der Bürgermeister, »obwohl ich ja jetzt Feierabend habe. Theo, tust du mir noch ein Bier?«
»Ja, klar.« Theo lieferte das Bestellte und zwinkerte Ritchie zu. »Ich finde das toll, dass du deinem Liebsten zeigst, wo du herkommst.«
Bogdan grinste diabolisch, rückte etwas näher an Ritchie und legte ihm die Hand aufs Knie. »Ja, der Ritchie, der ist ein Superschatz, der ist immer voll die Überraschung.«
»Ach, wusstest du das gar nicht, als du hierher gekommen bist?«, wunderte sich der feiste Autohändler aus Frechen und leckte sich das Ketchup von den Fingern.
»Nee, keinen Dunst. Aber jetzt macht mal ohne mich weiter, ich muss noch mal telefonieren.« Er kitzelte Ritchie am Kinn. »Mach mir schon mal ein Stück Fleisch warm, bis ich wieder komme - Schatz!« Das »Schatz« hieb wie eine Machete durch die Luft.
Ritchie räusperte sich und versuchte, das allgemeine Interesse auf unverfänglichere Themen zu lenken. »Hier hat sich ja wahnsinnig viel verändert. Jede Menge neue Häuser, die Gaststätte
Zur Sonne
gibt es nicht mehr …«
»Ja, das stimmt, die ist abgerissen worden. Von den Kindern wollte die keiner weitermachen, und das Haus war so marode …« Der Bürgermeister guckte versonnen. »Aber das war schon toll, unten die Theke und oben die …«, er stockte und grinste schelmisch, »… Fremdenzimmer. Und überall die Mädchen.«
Bogdan kehrte mit ernstem Gesicht zurück.
»Ist was verkehrt?«, fragte Maria Jünger.
»Ja, ich hab da ein Geschäft am laufen, aber ich krieg den Typen nicht ans Telefon!«
»Also, sowas müsste mir passieren«, dröhnte der Autohändler, dem das Hemd aus der Hose gerutscht war, und klopfte seiner Frau auf die Schulter, die ihn unentwegt verliebt, aber wortlos anstrahlte, »im Urlaub noch arbeiten. Ich stelle mein Telefon ab, nur Sklaven sind immer erreichbar!«
»Manchmal ist das eben unvermeidlich!«
»So«, rief Theo, »und ich schmeiße jetzt eine Runde Würstchen auf das Wiedersehen! Besser esst ihr auch in der
Postille
in Jünkerath nicht!«
»Hauptsache, du wirfst die nicht zu weit!«, flachste der Bürgermeister.
Es war immer noch eine fröhliche Gesellschaft, als langsam die Dämmerung hereinbrach. Ritchie hatte sich etwas abseits an einen Zaun gelehnt. Er war genervt, denn Bogdan ließ keine Gelegenheit aus, ihm die Schenkel zu tätscheln, kleine böse Scherze über »Gönnershausen« zu machen oder ihn sonst irgendwie zu triezen. Er blickte zum Himmel und sah in dem schwachen Licht über den kleinen Ort, der diese typische Färbung zeigte: kleine Wolkenfetzen, die von den Ardennen hereinzogen, malerisch beleuchtet, wie Zuckerguss am blitzblauen Himmel.
Es war wohl eine völlig idiotische Idee gewesen, nach Gönnersdorf zu kommen. Bogdan hatte gesagt, er solle ein ruhiges Haus suchen, und dann hatte er im Internet auf einmal den Namen des Ortes gelesen, in dem er aufgewachsen war. Die Rührung hatte ihn übermannt, dieses unerbittlich bohrende Heimatgefühl, das dem Eifeler ja immer nachgesagt wird, von dem er sich aber bisher freigesprochen hatte. Und jetzt hatte es ihn erwischt. Er saß hier mit alten Freunden und neuen Bekannten, grillte, trank Bier, und sollte mit einem ihm nicht wirklich sympathischen Mann verheiratet werden. Und zu allem Überfluss lag in seinem Ferienhaus eine betäubte Frau, deren Mann
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