Kramp, Ralf (Hrsg)
Flur. Fast liebevoll befestigte Ritchie währenddessen die stählernen Fesseln an den Handgelenken der Frau und machte sie am Bett fest. Während er probierte, ob die Schlösser richtig eingerastet waren, kam Bogdan wieder in den Raum.
»Verdammter Mist, ich erreiche den Kerl nicht! Da springt nur der Anrufbeantworter an.«
»Dann versuch es doch mal auf dem Handy!«
»Idiot! Längst passiert! Teilnehmer nicht erreichbar!«
»Ach, mach dir keine Sorgen. Heute ist Freitag. Der Mann ist Unternehmer, der hat heute sicher Termine und so, geht aus, Geschäftsessen, morgen früh ist er da, und dann wird er sich fragen, wo seine Frau ist. Und dann wir: Ey, du Penner, fünf Millionen, sonst siehst du sie nie wieder, und er dann so …«
»Weißt du was, Ritchie, halt einfach dein Maul. Ich will jetzt schlafen. Weck mich in drei Stunden, einer muss immer wach bleiben.«
Als Ritchie in dem Fernsehsessel, den er als Nachtquartier gewählt hatte, die Augen aufschlug, war es Morgen. Hinter der offenen Terrassentür sah er Bogdan, der draußen stand, eine Zigarette rauchte und die Landschaft betrachtete. Ritchie rappelte sich mühsam hoch und stellte sich neben ihn.
»Na, ist das cool oder was?« Er streckte sich und kratzte seine blondierten Stoppeln. Seine kräftige Figur steckte in einem verwaschenen T-Shirt, auf dem noch schwach erkennbar die amerikanische Flagge prangte.
Bogdan bedachte ihn mit einem wenig freundlichen Blick. »Das ist eine Scheiße, und zwar eine Superscheiße!«
»Hey, Alter, du wolltest doch Einsamkeit!« Ritchie zeigte auf die grünen Hügel, die den kleinen Ort umrandeten.
»Einsamkeit, ja, ist klar, Mann. Aber das hier«, Bogdan wies in die andere Richtung, in der mehrere kleine Häuser zu sehen waren, »das ist nicht Einsamkeit, das ist eine Feriensiedlung! Ich dachte mir schon gestern, ey, das ist aber komisch hier, wo hat uns denn der Ritchie hingebracht, aber da konnte ich nichts sehen, aber jetzt …« Er saugte erregt an seiner Zigarette.
»Wieso, was ist denn verkehrt?«, Ritchie war verwirrt. »Wir sind hier am Rand von gar nichts, keine Sau hier, keiner interessiert sich für uns!«
Bogdan schnaubte verächtlich. »Hey Mann, du Pfeife, hast du eine Ahnung, was in einer Feriensiedlung los ist? Wir müssen uns verstecken, und ich dachte, der Ritchie, der kommt aus der Eifel, der kennt sich aus, aber so …«
Ritchie lachte. »Ach so, weißt du, das ist schon richtig. Das ist besser, als wenn wir allein wohnen, viel unauffälliger. Die Eifel ist nicht mehr so, wie sie mal war. Glaub mir, wir gehen hier eher als Urlauber durch, als wenn wir irgendwo im Wald sitzen. Wir müssen uns nur unauffällig verhalten, dann interessiert sich niemand für uns, du wirst sehen.«
Vom Eingang her schallte ein fröhliches »Juhuu!« durch das kleine Haus. Bogdan blickte Ritchie mit tragischem Gesichtsausdruck an. »Ja, du Vollpfosten, ich sehe es.« Er ging ins Haus, wo ein heiteres, rundes Gesicht um die Ecke strahlte.
»Hallooo! Ich bin die Juttaa! Ich wollte mal guten Taaag sageeen!« Sie hatte eine sommerlich kurze Hose an, ein buntes Top, das ihre Leibesfülle nur knapp umschloss, und lustige, braune Locken. »Ich bin die Nachbarin von da«, sie zeigte mit dem Finger in irgendeine Richtung, »und eigentlich, also, wenn ich ganz ehrlich bin, dann wollte ich auch noch fragen, ob Sie vielleicht etwas Zucker haben? Mein Ältester hat meinen nämlich ins Klo geschüttet, und ich kriege meinen Kaffee sonst nicht runter, wisst ihr?«
»Zucker«, echote Ritchie.
»Genau, ich komme nämlich jedes Jahr aus Trier, um mit meinen drei Jungs Urlaub zu machen. Die können sich hier nämlich richtig austoben. Ach, da sind sie ja schon!«
Mit ohrenbetäubendem Geheul rasten drei kleine Gestalten in den Flur und verschwanden im Badezimmer, aus dem schnell wenig vertrauenerweckende Geräusche zu hören waren.
»Mögen Sie Kinder?«, fragte Jutta mit verträumtem Gesicht.
»Nein«, raunzte Bogdan und sagte zu Ritchie: »Such den Scheißzucker.«
»Zucker, klar«, bestätigte Ritchie und begann in die Küchenschränke zu gucken. Bogdan holte Luft, um irgendetwas zu sagen, vergaß aber augenblicklich, was dies gewesen sein könnte, als die johlende Meute aus dem Bad stürmte, um das Schlafzimmer zu entern.
»Halt«, brüllte er, schubste die Kinder zur Seite und stellte sich breitbeinig vor die Tür. »Das geht euch nichts an. Raus hier.« Sie sahen ihn beleidigt an und schlichen maulend aus dem Haus. Jutta
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