Kramp, Ralf (Hrsg)
umgebracht hatte. Naja, er hatte immerhin gesehen, wie er seinem geliebten Stallburschen die Heugabel bis zum Anschlag in die Brust gebohrt hatte. Dabei hatte Diego wütend geschnaubt wie ein Stier. Da, jetzt wieder! Der Bock machte Ulf irre wütend. Er begann, ein Lied zu pfeifen – das machte Diego noch rasender. Wie eine Bestie rannte er mit seinem stolzen Gehörn in Ulfs Richtung, knallte ein ums andere Mal gegen Holzlatten.
Tinka Brause warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Das ist ein Spiel zwischen uns beiden«, fabulierte Ulf. »Der Diego ist mein Liebling. Nicht wahr, Diego? Du kleiner Räuber!«
Rumms, die nächste Attacke. Waren das Flammen in Diegos Augen?
»Wir tollen auch manchmal im Stroh herum und machen Kämpfchen. Wie kleine Kätzchen.«
Rumms. Rumms Rumms. Rauch stieg aus Diegos Nüstern.
Den ganzen Nachmittag verbrachte das Fernsehteam damit, Ulfs Vorbereitungen zu filmen, wie er das Haus saugte, Bier kaltstellte und frische Blumen im Garten schnitt.
Dann war es endlich soweit! Tinka Brause bugsierte ihn vor den Hofladen und verknotete eine Binde über seinen Augen. Ulf spürte den kühlen Sommerwind über die Wangen streichen, hörte sich nähernde Schritte – und roch Haselnusstorte. Das musste sie sein! Wie würde sie aussehen? Hoffentlich keine schlanke, mit kurzen blonden Haaren, die schon ihre Inlineskates anhatte.
Sein Puls ging in Turbomodus, als ihm endlich das Band von den Augen gezogen wurde. Und vor ihm stand ... Lotte Sachen! Das gab es doch gar nicht ...! Das konnte doch gar nicht ...!
Lotte Sachen!
Aus Bleckhausen! Blääkes!
Ulfs Mund stand offen. Noch eine Minute länger und Vögel hätten darin ein Nest gebaut. Nachdem Tinka Brause ihn anstupste, streckte er Lotte Sachen wie ein Roboter seine Hand entgegen, doch nachdem diese ihre Torte abgestellt hatte, drückte sie ihm gleich einen Schmatzer auf die Lippen und umarmte ihn danach.
Als Lotte Sachen ihn wieder losließ, fiel Ulf vor ihr auf die Knie. Er sah nun genau vor sich, was er machen musste. Ohne Aufschub. »Willst du mich heiraten? Jetzt? Hier? Sofort? Auf der Stelle?«
Sie lachte. Was für ein bezauberndes Lachen. Als würde die Sonne lachen.
»Schauen wir mal. Wir haben ja eine Woche Zeit, uns kennenzulernen.«
Eine Woche? Wer brauchte eine Woche? Ulf sicher nicht. Der wusste eh alles über Lotte Sachen, hatte zuhause minutengenaue Tagesabläufe von ihr, besaß illustrierende Fotos und Tonbandaufnahmen, wenn auch zum Teil von fragwürdiger Qualität. Besonders liebte er
Lotte Sachen beim Kartoffelkauf Teil IV
vom 28. Mai vorletzten Jahres, weil sie da so süß mit der Händlerin scherzte und von einem netten Bankbeamten erzählte. Obwohl es sich dabei nicht um ihn gehandelt hatte, denn Ulf war es verboten, mit den Kunden in direkten Kontakt zu treten, hatte es sich trotzdem so angefühlt.
Tinka Brause stupste ihn an. »Da es draußen ein wenig tröpfelt, verschieben wir das Inlineskaten auf morgen und ziehen das Candle-Light-Dinner vor. Unser Requisiteur hat es im Ziegenstall aufgebaut. Wir haben sogar extra ein kleines Streichorchester organisiert, das für Sie spielen wird. Natürlich tun wir so, als hätten Sie das vorbereitet. In Ordnung?«
»Ja ja, klar. Hab ich alles organisiert.«
Lotte Sachen, Lotte Sachen. Lot-te Sa-chen. Schon der Name klang wie eine dreistöckige Sahnetorte. Oh, wie er Torten liebte! Am liebsten würde er nichts anderes essen. Natürlich mit Lotte Sachen.
»Den Tisch bauen wir neben dem Gehege der Zuchtböcke auf«, flüsterte Tinka Brause weiter, während Lotte Sachen nachgepudert wurde. »Das gibt ein schönes Bild.«
»Klar, neben den Zuchtböcken. Schönes Bild.«
Niemand konnte sich pudern lassen wie Lotte Sachen. Es sah aus als würde sie im Schneegestöber tanzen.
Wie in Trance setzte Ulf sich auf den mit rotem Samt bezogenen Sessel, während sich gegenüber die Frau seiner Träume niederließ. Zwischen ihnen stand die Haselnusstorte.
»Ist mit Ziegenmilch gebacken. Extra für dich!«, sagte Lotte.
»Das ist ja genial!«, sagte Ulf und begann, sich den Kuchen reinzustopfen. »Schmeckt toll«, sagte er mit vollem Mund. »Voll super.« Die Frau war die Wucht! Ganz einfach die Wucht! Haselnusstorte mit Ziegenmilch – da musste man erst mal drauf kommen! Und wie die Torte schmeckte! Nach Haselnuss
und
Ziegenmilch! Konnte es etwas Besseres geben?
Dann erklang wieder Tinka Brauses Stimme in seinem Ohr. »Wir können die Kerzen doch sicher anzünden, ich meine wegen
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