Kramp, Ralf (Hrsg)
dem ganzen Stroh? Da passiert schon nichts, oder? Sie passen gut auf.«
»Gut auf«, sagte Ulf. Was hatte Tinka Brause gerade gesagt? Auch egal. Er musste jetzt ein Kompliment machen. Was hörten Frauen gerne? Etwas über ihren vollen Busen? Ihre vollen Lippen? Ihre vollen Haare? Nein, das war alles einfallslos.
»Du hast eine sehr schöne Nase. Sehr voll.«
»Was? Wieso ...?« Lotte Sachen lehnte sich vor. »Hängt da etwa was raus?«
»Und schöne Finger ... knöchel. Und volle ...« Verdammt, was hatten Frauen denn noch? »... Zähne!«
»Äh, danke.« Sie lächelte wieder. Diesmal jedoch leicht gequält. Wahrscheinlich hielt sie es nicht mehr aus und wollte endlich intim mit ihm werden. Das konnte sie gerne haben! Supersupersuper.
»Lass uns doch gleich zu mir ins Bett gehen«, platzte es aus Ulf heraus.
Tinka Brauses Hände drückten ihn nach unten. »Hatten Sie nicht noch eine Überraschung vorbereitet, Ulf?« Sie flüsterte. »Das Streichquartett.« Sie blickte wieder in die Kamera. »Ulf ist anscheinend so überwältigt von seinem Herzblatt, ähem, seiner Herzdame, dass er vergessen hat, womit er sie beglücken will.«
»... beglücken will. Oh, ja!«, sagte Ulf. »Bitte, sofort.« Lotte Sa-chen! Lot-te Sa-chen!
Tinka Brause gab dem Streichquartett ein Zeichen und es legte los. Die vier Musiker spielten, was das Zeug hielt. Aber nicht lange. Niemand stoppte die Zeit, aber es waren genau 134 Sekunden.
Diego drehte sich zuerst ein paarmal im Kreis, schier wahnsinnig von der Musik, bevor er mit einem unglaublichen Satz aus seinem Gehege sprang. Ulf bekam all dies nicht mit. Er sah Lotte Sachen beim Essen zu. Wie sie die Haselnusstorte verspeiste, so mussten Engel Manna essen! Ihre vollen Zähne bissen durch die Torte als sei diese aus ... Teig. Toll, einfach toll, diese Frau! Alles an ihr war toller als toll. Tollest also!
Der Bock traf ihn völlig überraschend, nahm ihn auf seine Hörner, durchbrach die Absperrung zum Bereich der Melkziegen und rammte ihn gegen die Wand, mit Ulfs Kopf den Salzstein zerschmetternd.
Ulf dachte nur: Jetzt sieht Lotte, was für ein wilder Kerl ich bin. Ziegenreiter, das war besser als Stierkämpfer. Das war in einer Liga mit Löwendompteuren. Und dann dachte er noch: Aua, aua, aua!
Die Kamera hielt die ganze Zeit drauf. Dann stellte sich Tinka Brause lachend ins Bild. »Und jetzt tollt Ulf mit seinem Lieblingsbock Diego, um Lotte zu zeigen, wie herzlich man auf dem Land mit seinen Tieren umgeht. Sind sie nicht süß, die zwei? Oh, da spritzt jetzt sogar ein bisschen Blut – wie heißt es so schön: Hart, aber herzlich!« Ihre Stimme wurde ein bisschen unsicher.
Stroh und Heu wirbelte durch die Luft, und der eingeschlagene Schädel des Stallburschen kam plötzlich zum Vorschein, was Tinka Brause einen schrillen Schrei entlockte. Derweil entzündete der vom Tisch gefallene Kerzenleuchter das trockene Stroh. Panik brach unter den Tieren aus. Diego rummste immer weiter gegen Ulfs wehrlosen Körper, bis der mit einem letzten, verzweifelten Röcheln, das ein wenig wie »Lotte« klang, sein Leben aushauchte.
Triumphierend durchpflügte Diego den Komposthaufen und legte die erwürgte Verkäuferin frei. Jetzt fiel auch der Maskenbildner, der zum Nachpudern bereitgestanden hatte, in Ohnmacht.
Das Feuer breitete sich rasend schnell aus, und die Tiere suchten schnell das Weite. Von Weitem sah es aus, als sei ein Vulkan in Gillenfeld ausgebrochen. Und der Schatten eines prächtigen Ziegenbocks wurde an den rauchigen Himmel geworfen.
Durch die entstehende Hitze bekamen nun auch der Körper der toten Käserin in der Milch und jener der Auszubildenden in der Salzlake ordentlich Auftrieb. Sie tanzten zwischen blubbernden Blasen und brachten den Kameramann, der bis jetzt noch wie besessen mit der Linse draufgehalten hatte, endgültig um den Verstand. Tinka Brause taumelte bereits schluchzend über das Hofpflaster, Bauern, Ziegen und die Eifel im Ganzen verfluchend.
Es wurde in dieser Nacht noch viel geheult und geweint – doch eine Person stand vor dem Hof und bekam von all dem nichts mit. Sie sah sich das lodernde Feuer an und lächelte: Lotte Sachen.
Eine ganze Woche mit diesem Vollidioten hätte sie nämlich nicht überlebt.
Schritt für Schritt
VON C AROLA C LASEN
Er steht in einer schmalen Grube und taucht auf und ab, und um ihn herum türmen sich frische, gelbe Lehmhaufen.
»Alfred!«
Er fährt hoch, einen Spatenstiel in den Händen, und starrt entsetzt umher. Sein
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