Kramp, Ralf (Hrsg)
gesagt: Allein der Weg durch die hängende Baumallee hierher kommt einer Hochzeitsfilmkulisse in
Notting Hill
gleich. Willst du, dass der Hang demnächst mit Flaschen, Dosen, Kippen und Fastfoodabfall von den lieben Gästen zugemüllt wird, wie es eh schon überall zunimmt?«
»Mann, Rabe: über 70.000 Feriengäste und fast 400.000 Übernachtungen jedes Jahr – und du siehst das Aufstellen von ein paar Mülltonnen und das Wohlergehen eines Käfers als Problem. Zum Glück kümmerst du dich um die Bücherei und nicht um die Wirtschaftspolitik.«
Rabe stand neben dem auf der Mauer sitzenden Knox und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Das meinst du doch nicht ernst.«
Er holte die lange Leiter, die, für Unwissende zu gut versteckt, quer am Fuße der Mauer lag. Knox beobachtete seinen Freund, wie er die Leiter an den Torbogen lehnte.
»Was machst du da?«
»Ich gucke mir das Ganze von oben an. Vielleicht hast du ja doch Recht.«
Knox sah, wie sein Freund die gut zehn Meter hochstieg, den drei angestrahlten Kreuzen des Mahnmals entgegen. Ganz schön fit, der Rabe, dachte Knox.
Oben im Scheinwerferlicht begrüßten tanzende Insekten den Neuankömmling. Fehlt nur noch die Lounge-Musik, dachte sich Rabe. Er blickte runter auf den winzigen Knox, der aufgestanden war und nun im Rondell der Mauer stand, seinen Kopf in den Nacken gelegt.
»Und, wie ist es da oben?«, rief Knox.
Rabes Aussicht war überwältigend. Er stand auf dem Torbogen zwischen den drei hüfthohen Kreuzen und ließ seinen Blick schweifen. Atemberaubende Eifel. Rabe konnte nicht anders.
»Wahnsinn, Knox! Das musst du dir ansehen!«
»Ich sehe«, unmerklich war Knox die Leiter hochgeklettert und sprach leise hinter Rabe stehend in dessen Ohr.
»Unglaublich. Stell dir das vor: Hier würde eine Treppe auf eine Plattform führen. Auf der einen Seite die Sicht auf das Tal, auf der anderen die Sicht auf die Eifelfeuer-Bar, mit Outdoor-Lounge und Tanzfläche«, schwärmte Knox.
Rabe war still. Ehrfürchtig, beeindruckt von der Stille und der Schönheit dieses Panoramas, fehlten dem Bibliothekar die Worte. Das Bild wurde wässrig. Rabe lächelte und legte dem Gemeinderatsmitglied freundschaftlich seinen Arm um die Schulter. »Weißt du, Knox. Ganz ehrlich, du hattest schon immer die bessere Nase von uns beiden. Das hier ist die Attraktion. Da kommen Einheimische und Urlauber aus der Umgebung. Wer will da noch auf die alte Kronenburg?«
»Sag ich doch«, wollte Knox in diesem Moment begeistert ausrufen. Doch seine Worte versackten in der blanken Panik seines Geistes. Ein kleiner Schubser hatte seinem Gleichgewicht ein Ende gesetzt. Knox ruderte wie wild mit den Armen, versuchte, mit seinen Fingerspitzen die Jacke seines Freundes zu packen, doch der wich in diesem Moment den entscheidenden Zentimeter zurück und sah dabei zu, wie ein Gemeinderatsmitglied Opfer eines tragischen Unfalls wurde.
Rabe sah den Körper in die Tiefe stürzen. Ein dumpfer Aufschlag war zu vernehmen, dann legte sich die beruhigende Stille der Eifel über das Geschehen. Die Insekten tanzten, das Tal lag in seiner Naturschönheit unverändert da, die Luft auf dem Ritterdenkmal war klar und kühl. Rabe atmete den Duft der Eifel tief in sich hinein. Er hätte heulen können, wäre er sich nicht sicher gewesen, das Notwendige für den Erhalt dieses magischen Ortes der Eifel getan zu haben. Er nahm sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und rief die Polizei. Sie würden ein wenig Zeit brauchen, bis sie von der nächsten Wache in Prüm vor Ort sein würden. Zeit genug, um sich vom Tod des Gemeinderatsmitglieds Pete Knox zu überzeugen und die Geschichte so zu erzählen, wie sie nur ein Bibliothekar von seinem alten Freund erzählen kann. Rabe stieg die Leiter hinab, um die Sache zu Ende zu bringen.
Eine Frage des guten Tons
VON E RIKA K ROELL
Sechs blankgeputzte Drehscheiben warteten auf neugierige Töpferlehrlinge, der Ton lag bereits geschlagen auf dem Tisch. Christine ließ noch einmal ihren Blick durch die Werkstatt wandern. Alles vorbereitet. Sie bog den Hals und sah aus dem Fenster auf den Innenhof. Jeden Moment erwartete sie ihren Töpferkurs. Wie immer sechs Leute, die zwei Tage lang mit mehr oder weniger Erfolg versuchen würden, aus einem Klumpen Ton etwas zu formen, das sie später ihren Daheimgebliebenen präsentieren konnten, ohne Lachsalven auszulösen. Was nicht immer gelang.
Diesmal bestand der Kurs aus zwei Ehepaaren und zwei Freunden, die wegen des Truck-Grand-Prix
Weitere Kostenlose Bücher