Kramp, Ralf (Hrsg)
den Wagen parkte. Trotzdem stieg sie aus und sah sich um. Weit und breit war kein Licht zu entdecken. Köttelbach schlief tief und fest. Klaus kletterte ebenfalls aus dem Auto. »Musste die Brille eben morgen holen«, nuschelte er leicht verwaschen. In diesem Moment spürte er kaltes Metall an seinem Hals. Der Schrei, der aus seiner Kehle emporstieg, wurde im wahrsten Sinne des Wortes abgeschnitten.
Christine und Rainer saßen bereits mit einem Kaffee am Tisch im Innenhof und genossen die Morgensonne, als Norbert und Werner auftauchten und sich dazugesellten. Wenige Minuten später kamen Sofia und die Müllers gemeinsam in einem Wagen an. »Mein Mann ist offenbar spazieren gegangen«, erklärte Sofia die Abwesenheit von Klaus. »Jedenfalls war er heute Morgen nicht im Zimmer, als ich aufwachte.«
Klaus spazieren gegangen, dachte Rainer spöttisch. So sieht der aus. Vermutlich liegt er noch halb besoffen im Bett.
»Kein Problem«, sagte Christine, »er kann jederzeit wieder einsteigen, wenn er Lust hat.« Sie führte die Gruppe in die Werkstatt und ließ sie heute ihren Ton selbst schlagen.
Rainer ging von einem zum anderen, um Hilfe zu leisten, wenn nötig, als sein Blick auf den Abheber fiel, der auf einem Arbeitstisch neben der Tür lag. Er nahm ihn und wollte ihn an seinen Platz an der Wand hängen, als ihm einige dunkelrote Flecken auffielen. Offenbar hatte Christine ihn gestern Abend nicht sorgfältig genug gereinigt. Er verschwand in einem Nebenraum, in dem ein Wasserbecken bereitstand, tauchte den Abheber mehrmals unter und schrubbte mit einem Schwamm die dunkelroten Flecken weg. Hatte da etwa jemand mit rotem Ton gespielt? Vielleicht hatte Christine vergessen, die Werkstatt abzuschließen, und einer der Teilnehmer hatte sich heute Nacht ein wenig vergnügt.
Erst, als die Scheibe tadellos sauber war, hängte er sie wieder an ihren Nagel an der Wand.
»Meldet er sich immer noch nicht?«, fragte Christine besorgt, als Sofia zum wiederholten Male versuchte, Klaus’ Handy zu erreichen. Sie schüttelte nur den Kopf. »Hoffentlich ist ihm nichts passiert.«
»Vielleicht sollten wir die Polizei rufen«, schlug Christine vor und warf einen Blick zu Rainer. Der schüttelte mit geschürzten Lippen den Kopf. Nicht für den, hieß das.
Plötzlich wurde die Tür der Werkstatt aufgerissen, und Gertrud Theisen, die Nachbarin von gegenüber, und ein junger Mann standen im Türrahmen. »Rainer, heute Nacht war jemand in eurem Hof.« Gertrud war außer Atem vor Aufregung. »Da war jemand, das hab ich ganz genau gesehen. Da hat sich was bewegt auf eurem Hof. Das ist übrigens mein Neffe aus Kelberg, Matthias Heidinger. Matthias ist sofort rausgelaufen, um nachzuschauen, konnte aber nichts entdecken.«
Matthias nickte. »Ich hab einen kleinen Rundgang gemacht und in die Fenster gespäht, aber da war nichts mehr. Deshalb hab ich Sie auch nicht geweckt.«
»Vielleicht war es ein Tier. Ein Reh oder ein Wildschwein«, sagte Rainer und drückte Gertrud ein Glas Wasser in die Hand. »Nein, dazu war es zu groß. Das war ein Mensch, ganz bestimmt.«
Rainer sah Christine an. »Fehlt irgendwas? Ist jemand eingebrochen?«
Christine blickte sich um. »Also, auf den ersten Blick fehlt nichts. Allerdings haben wir hier so viel Zeugs …«
Sie ließ völlig hilflos die Worte in der Luft hängen.
Sofia versuchte wieder, ihren Mann zu erreichen. Vergebens.
»Wir können uns ja mal umschauen«, sagte Werner und stand auf. Norbert nickte und schloss sich seinem muskulösen Freund an.
Sie drehten eine Runde durch den Innenhof und kontrollierten die Zierstecken in den Blumen. Nichts war beschädigt. Dann wanderten sie weiter in den Garten, den Blick auf das Pflaster geheftet, auf der Suche nach Blutspuren. Aber davon war nichts zu sehen. Die Beete im Garten sahen auf den ersten Blick unberührt aus, auch was das Wachstum von Unkraut betraf. Doch dann entdeckte Norbert zwei Fußabdrücke neben einer Blumenstaude. Eindeutig Cowboystiefel. Er griff nach einem abgebrochenen Zweig und wischte so lange über die Abdrücke, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Am Siloturm schien jemand am Efeu herumgezupft zu haben. Hier und da fehlten einige Blätter, die am Boden lagen. Werner klaubte sie auf und warf sie auf den Komposthaufen. Norbert verschob die Zweige des Efeus so, dass man die beschädigten Stellen nicht mehr sah. Auch die rostigen Eisenstufen verschwanden wieder unter den grünen Ranken. Die beiden Männer grinsten sich zufrieden an
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