Kramp, Ralf (Hrsg)
dass ich Zeugin der letzten Sekunden im Leben des Lars Kardes werden sollte
.
»Nicht aufstehen«, rief die Frau. »Blick weiter aufs Maar. Ich will ein Foto machen. Weil man von hier aus Meerfeld so schön sehen kann.«
Er tat ihr den Gefallen. Sie schlich viel zu nah an ihn heran, als dass sie eine vernünftige Aufnahme hätte machen können. Und der Gegenstand, den sie aus ihrer Tasche zog, eignete sich auch nicht zum Fotografieren. Mit einem solchen Stift pflegte meine zuckerkranke Kollegin ihren Insulinhaushalt zu regulieren. Den von Lars Kardes überforderte er allerdings. Der Mann im Halbrund begann noch mehr zu zittern als ich unter den Bäumen. Er wand sich in Krämpfen, doch erbarmungslos hielt ihn die Frau fest, bis sein Körper im Urknall erschlafft war
.
Dann stieg sie wieder auf ihr Rad und verschwand so schnell, wie sie gekommen war
.
Ich trat näher, blickte auf den toten Mann, der über der unteren Rundung des Urknalls hing und dann hinauf zur oberen. Und fühlte mich von der Inschrift inspiriert:
Am Anfang war die Welt nur so groß wie ein Gedanke.
Meiner sollte mir die Welt groß machen
.
Ich setzte ihn zwei Tage später in die Tat um, als ich das Gezicke auf der hinteren Terrasse des
Hotels Maarblick
hörte
.
»Gehen Sie mit Ihrer Zigarette woanders hin!«
»Das hier ist die Raucherlounge.«
»Sie sind außerordentlich rücksichtslos«, sagte die Witwe Kardes und wedelte mit einer Hand sehr vehement den Rauch fort. Die andere Hand verschwand in ihrer Tasche, zog unauffällig einen kompakten Umschlag heraus und deponierte ihn auf dem Tisch. Die Dunkelhaarige wollte danach greifen, doch ich war schneller
.
»Entschuldigung«, sagte ich, »wussten Sie, dass Sie sich auf dem Kosmosradweg zwischen Meerfelder Maar und Bleckhausener Mühle die wichtigsten Stationen der vergangenen Jahrmilliarden anschauen können? Und dass Sie sich mit jedem Meter, den Sie da zurücklegen, in der Zeit drei Millionen Jahre vorwärtsbewegen?«
Sprachlos starrten mich die Frauen an. Wahrscheinlich sahen sie mich zum ersten Mal. Während ich den Umschlag öffnete, sprach ich weiter: »Welch winzigen Zeitabschnitt nimmt da doch die Menschheit ein. Da ist es doch interessant zu erfahren, wie viel das Leben eines einzigen Menschen wert ist. Die zweite Rate, nehme ich an?«
Da endlich begann sich die Dunkelhaarige zu rühren
.
»Wir können über alles reden«, sagte sie höflich. »Bitte setzen Sie sich zu uns.«
»Das wäre kontraproduktiv«, erwiderte ich genauso höflich. »Alle Objekte des Universums driften voneinander weg. Sie entfernen sich immer weiter voneinander. Wie manche Ehepaare.«
Und wie eine ungewünschte Komplizin. Natürlich reiste ich sofort ab. Aber jetzt habe ich Angst, dass mich die Killerin findet
.
»Mord, Erpressung …«, murmelt die Anwältin. Ein richtiger Fall. Doch wer ist die Frau? Nirgendwo steht ein Hinweis auf Namen oder Anschrift. Die Anwältin muss nachdenken. Das kann sie am besten bei einem Cognac in der
Alten Abtei
. Sie schließt die Kanzlei und tritt auf die Straße. Der Polizei und den aufgeregten Menschen neben der Hotelterrasse am Hahnplatz schenkt sie kaum einen Blick. Ist wohl der übliche Auffahrunfall am Zebrastreifen. Sie hört nicht den Mann, der neben seinem Wagen steht und verzweifelt schreit: »Ich habe die Frau überhaupt nicht gesehen!«
Sie spürt auch keine Blicke im Rücken. Die sendet eine rauchende, dunkelhaarige Frau am Unfallort aus. Als sich die Tür der
Alten Abtei
hinter der Anwältin geschlossen hat, schnipst die Frau ihre Zigarette in den Gully. Sie blickt noch einmal auf die leblose, kleine Gestalt, die im Grau des Asphalts zu verschwinden scheint, und eilt dann auf ihren Wagen zu. Der nächste Auftrag wartet schon.
Magische Eifel
VON L OTHAR W IRTZ
Sollte sie doch an diesem Buch ersticken, sich an den Wörtern verschlucken, bis ihr Geist implodierte! Nils Rabe schickte der alten Frau, die gerade im Begriff war
Magische Orte der Eifel
auszuleihen, einen vernichtenden Blick hinterher. Seine Gedanken legten sich langsam um den Hals der Touristin und drückten zu.
»Dank je wel«, grüßte sie zum Abschied freundlich in die Ausleihe der kleinen Ortsbücherei.
Rabe legte nickend ein bittersüßes Lächeln auf. Sein ironisches »Immer gerne« verfehlte sein Ziel. Die Frau war bereits draußen auf dem Bürgersteig und steuerte, vertieft in den Buchklappentext, einem wartenden Fahrzeug entgegen. Verteufelt sei der Sonderausleihschein für
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