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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatort Eifel 3
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entsprechendem Hang zur Natur. Wir genießen es, am Morgen nicht von einer bimmelnden Straßenbahn, sondern vom Hahnenschrei geweckt zu werden, die Frühstückseier kommen von glücklichen Hühnern und der Kaffee schmeckt hier besonders gut.
    Niederehe liegt zwar am Krimiwanderweg, aber eigentlich kenne ich kein friedlicheres Plätzchen als dieses. Am Dorfeingang wird der Besucher mit »Jooden Dach« empfangen, und beim Verlassen des Ortes wird er mit einem ebenso freundlichen »Mach et jood!« verabschiedet.
    Doch diesmal schien alles anders. Eine fühlbare Spannung lag in der Luft, das merkten wir auch bei unserem Eintreffen im Gasthof.
    »Drüben in Üxheim sind zwei Kinder verschwunden«, wurde uns beim Empfang mitgeteilt. »Ein Geschwisterpaar, sieben und acht Jahre alt. Die sind vom Spielen nicht nach Hause gekommen. Jetzt sucht man überall die Umgebung ab. Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert.«
    »Ich habs doch gleich gewusst«, sagte ich.
    Als wir zu einem unserer üblichen Rundgänge aufbrachen, hielt ich die Augen offen. Vielleicht fiel uns unterwegs etwas Verdächtiges auf.
    Kein Wölkchen verdüsterte den Himmel. Der Flieder blühte, und die Luft schmeckte schon ein wenig nach Sommer. Herbert und ich gingen in Richtung Dorfausgang bei den Pfauen vorbei und sahen, dass eine der Ziegen Nachwuchs bekommen hatte. Durch den Wald mit seinen Licht-und Schattenspielen schlenderten wir ein Stück den Krimiwanderweg entlang, wo es nach Holz und trockenem Laub roch. Es hatte lange nicht geregnet, Staub knirschte zwischen den Zähnen.
    Als ich ein Rascheln im Laub hörte, schreckte ich zusammen. Der Wanderweg kam mir gar nicht mehr so friedlich wie sonst vor. Ich spähte ins Unterholz. Was, wenn die Kinder sich hierher verirrt hatten und in irgendeiner Grube lagen, aus der sie nicht mehr herausfanden?
    Mit einem Mal fühlte ich mich an die Märchen erinnert, denen ich als Kind stets mit einer gewissen Lustangst gelauscht hatte. Dass der Wald darin als geheimnisvoller Ort beschrieben wurde, der einerseits Schutz und Zuflucht bot, aber dass dort auch böse Hexen oder Wölfe unschuldigen Kindern auflauern konnten, hatte mich immer gleichermaßen fasziniert und erschreckt.
    Herbert blieb unvermittelt stehen. »Ist es nicht immer wieder schön hier?«, bemerkte er und suchte meinen Blick. Wie ertappt schlug ich die Augen nieder.
    Früher, als ich noch in einem Anwaltsbüro arbeitete, war Herbert mein Chef gewesen. Ich hatte ihm nicht nur den Papierkram abgenommen, sondern auch darauf geachtet, ob sein Krawattenknoten richtig saß und der Hosenlatz geschlossen war. Im Gegenzug hatte er mir viel darüber beigebracht, was Recht und Unrecht im tieferen Sinn bedeutete und wie leicht das vordergründig Unmissverständliche missbraucht und verdreht werden konnte. Ich war eine gelehrige Schülerin, und weil alles so wunderbar zwischen uns klappte, hatten wir schließlich geheiratet. Mein Herbert hatte früher was von einem sanften Rebellen, der ein wenig aussah wie Karl Marx, und der gegen jegliches Unrecht eintrat und zu kämpfen bereit war. Auch wenn seine Mandanten mittellos waren, hielt ihn das nicht davon ab, glühende Verteidigungsreden für sie zu halten. Vorausgesetzt, er war von ihrer Unschuld überzeugt. Fand er heraus, dass er an der Nase herumgeführt worden war, hatte er den Fall sofort abgegeben. Das war er seiner Berufsehre schuldig. Reich sind wir auf diese Weise nicht geworden, aber wir haben unser Auskommen.
    Seit Herbert im Ruhestand ist, ist er immer wortkarger geworden. Bisweilen versprüht er die Energie eines Faultiers. Spricht man ihn darauf an, meint er, er habe in seinem Advokatendasein genug geredet und habe nun das Recht, zu schweigen. Seine ehemals wilden Locken sind schütter geworden, aber den Marxschen Rauschebart trägt er noch immer mit Würde.
    Kinder haben wir keine, worum ich gerade jetzt eher froh bin, denn was gibt es Schlimmeres für Eltern, als um ihren Nachwuchs bangen zu müssen?
    Als wir am Steinbruch vorbeikamen, stachen mir diesmal die gelben Warnschilder besonders ins Auge. Auf den Schildern wird vor Gefahren gewarnt, die es dort eigentlich nicht mehr gibt.
    Kurz darauf erreichten wir Harrys Rodeo-Ranch. Harry ist über achtzig und hat noch immer etwas von einem heiteren Kind, dessen Augen spitzbübisch funkeln. Wir haben selten einen zufriedeneren Menschen kennengelernt. Nach dem Tod seiner Frau vor vielen Jahren hat er sich mit seinen Katzen und Pferden in dieser Talmulde

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