Krampus: Roman (German Edition)
zugefügt hatte. Sie wuschen ihm die Hände, säuberten seine Finger- und Zehennägel, das Geschlecht, die Wunden und den schaurigen Fleischlappen am Hals. Dann badeten sie ihn, bis nicht die geringste Spur Schmutz auf der Haut zu sehen war, und wickelten ihn anschließend in weißes Leinentuch.
»Hört auf zu klagen«, sagte die Frau. »Kummer gilt nur den Toten. Sankt Nikolaus kann nicht sterben, zu viele Menschen glauben an ihn. Es ist Zeit für Gebete … Zeit, die Engel zu rufen.«
Sie streckte die Arme aus, die Frauen fassten einander an den Händen und bildeten einen Kreis um den Steinblock. Im Schneidersitz setzte sich die Alte auf den Marmorboden, und die anderen taten es ihr nach.
»Wir halten über seinem Leib Wache. Niemand soll essen, schlafen oder trinken, bis die Engel kommen. Wenn sie nicht kommen, so ist es Gottes Wille, dass wir an seiner Seite sterben. Jetzt schließt die Augen und ruft sie.«
Während sie beteten, stieg die Sonne im Osten über den Horizont, ihr Licht fiel durch das Buntglas und badete den Raum in goldenem Schein.
»Gott weilt unter uns«, sagte die weißhaarige Frau.
***
Das dritte Haus, das sie in jener Nacht besuchten, stand am Fluss – ein herrschaftlicher Neubau, eingefasst von Mauern aus roten Ziegelsteinen und elegantem Schmiedeeisen. Krampus ließ den Schlitten auf der großen, ringförmigen Auffahrt aufsetzen.
Der Herr der Julzeit fand die Eingangstür unverschlossen vor und trat ein. Durch den Flur gelangten sie in den effektvoll gestalteten Wohnbereich, der sich zur zweiten Etage hin öffnete. Eine Wand war fast vollständig von Bogenfenstern eingenommen, die bis zur gewölbten Decke reichten und eine Aussicht auf den Fluss boten. In der Mitte des Raums ragte ein Weihnachtsbaum empor, völlig überladen mit Schmuck und Lametta.
»Wow, wie hübsch«, sagte Isabel.
Krampus schien da anderer Meinung zu sein. Er verzog das Gesicht, als hätte ihn jemand gezwungen, einen Löffel Hustensaft zu schlucken, beherrschte sich aber und zerschlug keine einzige Christbaumkugel. Stattdessen ging er die große Treppe hoch.
In das erste Zimmer spazierte Krampus einfach hinein wie ein geladener Gast. Es war sehr geräumig, und auf dem großen Flachbildfernseher an der Wand lief ein Film mit leise gestelltem Ton. Ein Mann und eine Frau, beide Mitte vierzig, saßen in einem riesigen Himmelbett. Der Mann hämmerte auf seinen Laptop ein, während die Frau gleichzeitig fernsah und eine SMS schrieb. Als sie laut nach Luft schnappte, blickte auch der Mann auf.
Krampus beachtete die beiden gar nicht, sondern starrte bloß mit schief gelegtem Kopf auf den großen Bildschirm an der Wand.
Die Frau sah einen Moment lang aus, als würde sie keine Luft mehr bekommen, doch schließlich entrang sich ihrer Kehle ein Schrei. Jesse und Isabel griffen beide gleichzeitig nach ihrem Schlafsand und wollten schon auf sie zurennen, da hob Krampus die Hand.
»Wartet.«
Die Frau schrie erneut und wollte aus dem Bett springen.
Der Mann zog die Kopfhörer aus den Ohren und legte einen Arm um sie. »Ruhig, Nancy. Ganz ruhig.« Nancy schien zu hyperventilieren, trotzdem schaffte sie es, nicht die Flucht zu ergreifen, während sie in blankem Entsetzen den riesigen Teufel in ihrem Schlafzimmer anstarrte.
Da wandte Krampus seine Aufmerksamkeit auch schon wieder dem Fernseher und den Pferden zu, die durch eine grüne britische Landschaft galoppierten. Er hielt die Nase so dicht an den Bildschirm, dass er mit den Hörnern dagegenstieß, schnaubte und trat zurück.
»Das ist ein High-Definition-LCD-Fernseher«, sagte der Mann mit zitternder Stimme. »Sechzig Zoll. Wenn Sie wollen, können Sie ihn haben. Bitte, nehmen Sie ihn einfach mit und gehen Sie.«
Vorsichtig streckte Krampus die Hand aus, tippte mit den spitzen Fingernägeln gegen den Bildschirm und hielt dann die Hand dagegen, als wollte er sie hindurchdrücken. Ein Knacken erklang, der Bildschirm flackerte, dann breitete sich ein Spinnennetz aus Rissen spiralförmig um seine Hand aus. Er betrachtete den zerbrochenen Bildschirm.
»Hm, anscheinend habe ich ihn beschädigt. Das tut mir leid.« Sein Bedauern klang aufrichtig.
»Geht schon in Ordnung«, sagte der Mann hastig. »Nicht weiter schlimm. Überhaupt kein Problem. Unten haben wir noch einen.« Er deutete auf eine Mahagonidose auf dem Frisiertisch. »Ich habe nicht viel Bargeld hier«, entschuldigte er sich nervös. »Aber Sie können gerne alles mitnehmen.«
»Wir sind nicht zum
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