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Krampus: Roman (German Edition)

Krampus: Roman (German Edition)

Titel: Krampus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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Umsicht angebracht«, flüsterte er. »Wir gehen anders an die Sache heran. Jesse, den Schlüssel.«
    Sofort reichte Jesse ihm den Schlüsselring. Drei der Skelettschlüssel waren eher altmodisch, bei den übrigen handelte es sich um kleinere, modernere Exemplare. Einen davon wählte Krampus aus und versuchte, ihn ins Schloss zu stecken. Er passte nicht. Jesse begriff zwar nicht, wie diese sechs Schlüssel jedes Schloss auf der ganzen Welt öffnen sollten, doch nach allem, was er in letzter Zeit gesehen hatte, vermutete er, dass es funktionieren würde. Krampus enttäuschte ihn nicht: Der zweite Schlüssel passte. Der Alte drehte ihn herum, und das Schloss schnappte auf.
    Jesse hatte keine Ahnung, ob der Schlafsand auch bei Hunden funktionierte. Trotzdem holte er schon mal eine Prise aus der Brusttasche und hielt sie zwischen den Fingerspitzen bereit. Krampus drehte den Knauf und schob die Tür auf. Da sprang ihnen auch schon der Hund entgegen, und Jesse warf ihm den Sand ins Gesicht. Es war ein Dachshund, und zwar ein steinalter. Er musterte Jesse aus großen, traurigen Augen, wedelte mit dem Schwanz und brach dann zusammen.
    Die anderen bedachten ihn mit strafenden Blicken.
    »Was denn?«
    Über den schlafenden Hund hinweg betraten sie das Haus. Stimmen und flackerndes Fernseherlicht kamen vom anderen Ende des Flurs. Jesse roch Haschisch.
    An zusammengeknüllten schmutzigen Kleidern vorbei schlich Krampus in die Richtung, aus der das Licht kam. In der Tür zum Wohnzimmer hielten sie inne. Ein feister Mann mit Einwochenbart lag mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Sofa; er schlief tief und fest. Auf seiner Brust stand ein Aschenbecher voller Zigarettenstummel, auf dem Boden lag eine leere Whiskeyflasche, und auf seinem Schoß hatte sich eine große, grau getigerte Katze zusammengerollt, die bei ihrem Eintreten die Augen öffnete und sie anschaute.
    Die Kinder saßen alle sechs vor dem Fernseher auf dem Boden, mit dem Rücken zur Tür. Das Älteste war etwa zehn, das Jüngste ein Krabbelkind in Windeln. Zwei von ihnen waren Mädchen, die übrigen Jungen. Zwischen den Kindern lag eine Riesentüte Chips. Überall auf dem Teppich waren orangefarbene Krümel verstreut. Im Fernseher lief Ist das Leben nicht schön?. Jimmy Stewart versuchte gerade, die guten Leute von Bedford Falls zu überzeugen, nicht all ihr Geld von der Bausparkasse abzuheben. Mit seiner entwaffnenden Art und seinem warmen, ehrlichen Tonfall hatte er die Kinder völlig in seinen Bann geschlagen.
    In diesem Haus gab es weder einen Weihnachtsbaum noch Lichterketten oder Weihnachtsschmuck, mit Ausnahme einiger einsamer Tannenzapfen, die über dem Kamin hingen. Jesse entdeckte auch keine neuen Spielsachen und kein einziges Anzeichen dafür, dass hier eine Bescherung stattgefunden hatte. Es hatte den Anschein, als wäre Weihnachten an diesen Kindern vorbeigegangen.
    Isabel berührte Krampus am Arm und deutete auf den Mann. Der Herr der Julzeit nickte, und sie schlich zu ihm hinüber. Die Katze streckte sich, gähnte und fing an zu schnurren. Isabel streute dem Mann ein paar Körnchen Schlafsand ins Gesicht. Er rümpfte die Nase, aber das war auch schon alles. Isabel zuckte mit den Schultern. Als sie sich umdrehte, starrten die Kinder sie an – sechs mit orangefarbenen Krümeln verschmierte Gesichter. Sie hob die Hand. »Hallo.«
    Die Kinder verfolgten, wie Isabel zurück auf den Flur ging. »Wir sollten versuchen, ihre Mutter zu finden«, flüsterte sie.
    »Die ist nicht hier«, sagte Chet. »Sie ist vor etwa einem Jahr davongelaufen.«
    »Oh«, antwortete Isabel.
    Krampus reichte ihr sein Rutenbündel. »Das brauche ich nicht.« Er betrat das Zimmer, und alle Augen richteten sich auf den Herrn der Julzeit. Entsetzen machte sich auf den Mienen der Kinder breit.
    »Es besteht kein Grund zur Furcht«, sagte Krampus in demselben sanften, einlullenden Tonfall, den er auch schon bei den beiden Mädchen im vorigen Haus verwendet hatte. »Ich bin euer Freund.«
    Das schien die Kinder etwas zu beruhigen, eines der jüngeren fing trotzdem zu weinen an.
    »Casey, gib Ruhe«, sagte ein Mädchen und stand auf.
    Der kleine Junge gab sich sichtlich Mühe, seine Tränen zurückzuhalten. Seine Schwester schien mit ihren neun oder zehn Jahren die Älteste zu sein. Sie trat einen Schritt vor, sodass sie zwischen Krampus und ihren Geschwistern stand.
    »Was willst du?«, fragte sie in dem Versuch, unerschrocken zu wirken, doch Jesse hörte die Angst in ihrer Stimme.

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