Krampus: Roman (German Edition)
eine Frau an einem Auto. Der Mann versuchte, die Tür zu öffnen, aber anscheinend war er so betrunken, dass er den Schlüssel nicht ins Schloss bekam. Als der Schlitten vorbeiflog, blickten sie auf, riefen etwas Unverständliches und kippten um.
Jesse fragte sich, wie viele Nachtschwärmer das Gesehene am nächsten Morgen auf den Alkohol schieben würden. Ein Stück weiter bremste eine Frau scharf, als sie vorbeirauschten. Sie steckte den Kopf mit vor Verwunderung geweiteten Augen aus dem Seitenfenster ihres Wagens. Ihrer verblüfften Miene war anzusehen, dass sie nicht betrunken war, es aber wohl gerne gewesen wäre. Etwa einen Kilometer weiter passierten sie ein gutes Dutzend Teenager, die auf dem Parkplatz beim alten Wasserturm rumhingen.
»Frohes Julfest euch und allen!«, rief Krampus und winkte.
Etwa die Hälfte der Teenager sperrte die Münder auf und setzte zu einer lückenhaften La-ola-Welle an, die Übrigen starrten ihnen einfach nur hinterher. Als etwas blitzte, musste Jesse grinsen, und er überlegte, ob sie morgen früh wohl im Internet zu sehen sein würden.
Sie flogen die Sipsey Road am Ortsrand entlang, wo die Häuser weiter auseinander standen und die Gegend etwas ländlicher war. Hier und dort waren kleine Gemüsegärten und Hühnerställe zu sehen. Krampus verlangsamte das Tempo und spähte über die langen Auffahrten.
»He«, sagte Chet, »da wohne ich.« Er zeigte auf ein kleines Häuschen mit rosafarbener Eternitfassade. Im Blumenbeet stand eine aus Holz ausgesägte, vornübergebeugte Frau in Pumps und auf der Veranda ein weißer Korbschaukelstuhl.
»Du lebst in einem rosafarbenen Haus?« Jesse lachte. »Das erklärt einiges. Wahrscheinlich gefällt dir der schicke Mantel deshalb so gut.«
»He, fick dich. Das ist das Haus meiner Tante.«
»Du wohnst bei deiner Tante?« Jesse lachte noch lauter.
»Leck mich am Arsch«, sagte Chet und versetzte ihm einen Knuff.
Jesse hob die Hände und versuchte vergeblich, sich wieder einzukriegen.
»Es ist nur vorübergehend. Ich bin bei ihr untergekommen, bis Trish und ich ein paar Dinge geklärt haben. Also halt die Klappe.«
Sofort hörte er auf zu lachen. »Ihr habt euch getrennt?«
Chet nickte, und sein Kummer war ihm deutlich anzusehen. Diesen Gesichtsausdruck kannte Jesse nur zu gut. »Ja«, sagte er. »Ich weiß, wie das läuft.«
Krampus ließ den Schlitten einige Häuser weiter schweben und kam schließlich vor einem Haus im Ranchstil zum Stehen, das ein flaches Dach und eine Zedernholzfassade voller Wasserflecken hatte. Ein Chevy Malibu älteren Baujahrs mit hochgebocktem Heck, bei dem die Radkappen fehlten und der dringend neu lackiert werden musste, stand in der offenen Garage. Im Vorgarten lagen ein paar Spielsachen herum, außerdem eine kaputte Schaukel, vor sich hin rostende Autoteile und unzählige leere Bierdosen.
»He, Leute«, sagte Chet. »Da wohnt Wallace Dotson. Mit dem sollten wir uns lieber nicht anlegen. Der ist nicht mehr ganz richtig im Kopf, seit er aus dem Irak zurückgekommen ist.«
»Wie viele Kinder hat dein Freund?«, fragte Krampus.
»Er ist nicht mein Freund. Und von ›Verhütung‹ hat der Kerl noch nie was gehört. Bei dem springen mindestens fünf oder sechs Blagen durchs Haus, wenn nicht mehr, und sie sind alle genauso bösartig und durchgeknallt wie ihr alter Herr. Die kleinen Scheißer zeigen dir den Finger, wenn du sie nur anschaust.«
Krampus sprang vom Schlitten, und die Shawnees folgten ihm. Jesse, Isabel und Vernon blieben, wo sie waren. Ein Hund bellte in der Nähe.
»Mann«, sagte Chet, »ich hab dir doch gesagt, das ist das falsche Haus. Der alte Wallace hat seine Waffen verdammt gern, und er feuert sie auch gerne ab. Such dir lieber ein anderes Haus.«
»Kommt«, sagte Krampus. »Macht schon, allesamt.«
Daraufhin stiegen sie ebenfalls aus und folgten ihm über die Auffahrt.
Jesse stieß Isabel in die Seite. »Sieh mal.« Er zeigte auf ein handgemaltes Schild, das im Vorgarten aufgestellt war. Darauf stand: HAUSIEREN VERBOTEN. JA, DU BIST GEMEINT, DU ARSCHLOCH!
Isabel schüttelte den Kopf.
Keines der Fenster war erleuchtet. Jesse hoffte, dass die Familie über die Feiertage verreist war. Als Krampus auf die Veranda trat, begann auf der anderen Seite der Tür erneut ein Hund zu bellen. Es klang nach einem großen Hund. Sie konnten seine Krallen auf dem Boden klicken hören.
Krampus hatte schon die Faust erhoben, um anzuklopfen, hielt dann jedoch inne. »Vielleicht ist hier etwas mehr
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