Krampus: Roman (German Edition)
Mit entsetzten, ängstlichen Mienen wichen sie zurück und machten dem Teufel Platz. Nur der Pfarrer nicht, nur Owen Augustus Elkins nicht. Nein, mein Herr. Satan hatte sich die falsche Kirche ausgesucht und den falschen Prediger zum Schikanieren. Wenn der Teufel sich mit ihm anlegen wollte, wenn er mit seinen schwarzen Dogmen gegen den Glauben eines Pfarrers antreten wollte, dann war Owen bereit zum Kampf, denn er war ein Soldat des Herrn. Zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren spürte Pfarrer Owen wieder, wie die Kraft des Heiligen Geistes durch seine Adern strömte. Er trat einen Schritt vor und stellte sich dem Teufel in den Weg.
Finster starrte der Satan auf den Weihnachtsbaum und wollte an dem Pfarrer vorbeigehen, doch Owen wich nicht vom Fleck. Er versuchte, sich nicht von der schieren Größe und Widerwärtigkeit des Ungeheuers vor seinen Augen einschüchtern zu lassen, und bat seinen Herrn, ihm Kraft zu schenken.
Da richtete der Teufel den Blick auf ihn. »Ich bin gekommen, um mir meinen Baum zu holen«, verkündete er mit tiefer, grollender Stimme. »Und jetzt aus dem Weg, du elender kleiner Mann.«
Der Pfarrer fragte sich, ob er richtig gehört hatte. Der Baum? Satan wollte … den Baum? Er hatte keine Ahnung, was das sollte, aber er würde den Baum ganz sicher nicht hergeben. Also schüttelte er den Kopf und rührte sich nicht von der Stelle.
»Das ist ein Julbaum«, erklärte der Teufel. »Er gehört nicht in dieses Haus. Wie kommst du als Geistlicher auf die Idee, das Julfest zu verhöhnen und den Glauben anderer mit Füßen zu treten?«
Pfarrer Owen zögerte. Ein Julbaum? Wovon redet er? Sei wachsam, mahnte er sich dann. Er spricht die Sprache der Täuschung. Er will dich durcheinanderbringen, das ist alles. Mit einem Mal musste er an seine eigenen Worte denken: Man darf dem Teufel nicht gestatten, die Oberhand zu gewinnen. »Du wagst es, die Macht des Herrn in seinem eigenen Haus herauszufordern? Das wird Gott sich nicht bieten lassen. Im Namen unseres Herrn, des Allmächtigen, treibe ich dich aus! Hinfort mit dir, Satan! Hinfort!«
»Satan? Ich bin nicht Satan!«, knurrte das Ungeheuer. »Ich bin Krampus, der Herr der Julzeit. Und wenn du nicht sofort den Weg frei machst, reiße ich dir das Herz heraus und esse es!«
Der Pfarrer hob die Discokugel, um sie nötigenfalls dem unheiligen Geschöpf entgegenzuschleudern. »Zurück, Teufel! Kehre in die Hölle zurück!«
Das Ungeheuer verdrehte die Augen. »Ich bin kein Teufel, du Narr. Hast du dich jemals gefragt, warum ihr mit solchem Eifer überall nach dem Teufel sucht? Ich will es dir sagen: weil ihr eurer eigenen Verderbtheit nicht ins Antlitz blicken wollt. In Wahrheit gibt es gar keinen Teufel, der euch dazu zwingt, zu foltern, zu vergewaltigen, zu morden und einander zu missbrauchen oder das Land zu zerstören, das euch ernährt. Es gibt nur euch. Fass dich ruhig an der eigenen Nase, denn du bist der einzige Teufel in diesem Raum.«
»Mit deiner Scharlatanerie kannst du niemanden täuschen«, gab der Pfarrer zurück. »Ich erkenne dich, denn Jesus leiht mir sein Gesicht. Der liebe Gott erkennt dich ebenfalls und wird dich mit seinem Schwert der Gerechtigkeit zerschmettern. Er wird dich ins ewige Feuer zurückschleudern, wo du brennen wirst!«
»Brennen? Zerschmettern? Bestrafen? Warum ist dein Gott so engstirnig? So eifersüchtig? Warum darf es nur einen Gott geben? Warum ist kein Platz für all die anderen?«
»Wie bitte?«
»Einen Gott, warum dürft ihr nur einen Gott ehren?«
»Warum … Jedes Kind lernt im Konfirmandenunterricht die Antwort darauf. Es ist das erste Gebot: ›Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.‹«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was schadet es? Seit Anbeginn der Zeit suchen die Menschen bei vielen Göttern Schutz und streben nach Eintracht mit den Geistern der Wildnis. Man sollte doch meinen, dass es umso besser wäre, je mehr Götter über einen wachen. Nicht wahr?«
»Ich werde dem Herrn nicht abschwören, falls es das ist, was du von mir verlangst. Jesus ist mein Erlöser, und ich werde mich gewiss nicht von seiner Herde entfernen.«
Als die Schultern des Teufels herabsackten, wusste Pfarrer Owen, dass er dabei war, zu gewinnen, dass der Heilige Geist Satan schwer zusetzte.
»Du dummer Mann, niemand verlangt von dir, dass du irgendjemandem abschwörst. Du sollst nur dein Herz öffnen und alle in dein Haus einladen.«
»Ich glaube nur an Jesus und an den Herrn unseren Gott im
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