Krampus: Roman (German Edition)
hurtig!«
Eines der Mädchen weiter hinten eilte die Treppe hoch. Isabel war klar, dass sie schnellstens etwas unternehmen musste. Sie trat einen Schritt von Lacy weg.
»Denken Sie nicht einmal dran«, sagte die Frau. Die anderen schoben die Doppeltür hinter sich zu, legten den Riegel vor und schlossen die Reihen fester. »Sie gehen nirgendwohin.«
***
Eine basketballgroße Discokugel vor der Brust, stand Pfarrer Owen auf halber Höhe der Leiter.
»Halt die Leiter ruhig, Scott«, sagte er mit mehr als nur einer Spur Ungeduld in der Stimme.
»Ich halte schon fest, Großpapa. Warte, soll ich die Kugel für dich aufhängen?«
»Nein«, blaffte Pfarrer Owen. »Du sollst sie nicht für mich aufhängen. Du sollst die elendige Leiter ruhig halten.« Der Pfarrer war alles andere als glücklich darüber, dass er eine Disco aus seiner Kirche machen musste, aber er war auch nicht blind, zumindest noch nicht. Ihm war klar, dass seine Gemeinde langsam alt wurde, und wenn er sich nicht ernsthaft um die jüngeren Generationen bemühte, würde er bald ohne Gemeinde dastehen. Trotzdem kam es ihm manchmal so vor, als verbrächte er mehr Zeit damit, Freizeitaktivitäten zu organisieren, als damit, Gottes Wort zu predigen.
Nicht zum ersten Mal sehnte er sich nach den guten alten Zeiten zurück, als er und seine Frau mit einer Bibel unterm Arm von Haus zu Haus gegangen waren und die frohe Botschaft verkündet hatten, um all jenen, die nichts besaßen, etwas zu geben, woran sie glauben konnten. Er erinnerte sich noch gut daran, wie die Leute ihnen Hunde auf den Hals gehetzt und auf sie geschossen, wie sie das Ehepaar verwünscht und sich über sie lustig gemacht hatten. All das hatte ihn nur umso mehr angespornt, weil er ein Diener des Herrn war, der den Satan austrieb, wo er ihm begegnete, und die Menschen von Boone County, die es weiß Gott nicht leicht hatten, mit dem Heiligen Geist erfüllte. Es war schon lange her, seit der Pfarrer zum letzten Mal die Kraft des Heiligen Geistes in seinen Adern gespürt hatte, seit er überhaupt etwas anderes verspürt hatte als die Erschöpfung, die mit den ständig zunehmenden Verwaltungspflichten einherging, und die Hilflosigkeit, welche ihn bei dem Versuch beschlich, die kleinlichen Streitereien innerhalb seiner Gemeinde zu schlichten.
Pfarrer Owen wollte gerade die nächste Leitersprosse erklimmen, als er Geschrei aus dem Keller hörte. Er verdrehte die Augen. »Ich hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl bei diesem Unsinn mit der Scheidungsberatung. Wenn man einen Haufen verbitterter Frauen zusammensteckt, muss es ja Probleme geben.«
Da platzte Cindy zur Tür herein und stieß mit Mrs. Powell zusammen, die einen Teller mit Kerzen zu Boden fallen ließ.
»Scott, lauf hin! Mach die Kerzen aus!« Jedes Jahr versuchte der Pfarrer, Mrs. Powell davon abzubringen, so viele Kerzen aufzustellen, und jedes Jahr bestanden Mrs. Powell und ihr Senioren-Weihnachtsschmuck-Komitee darauf, jede Fensterbank damit zu schmücken. Sie behauptete, das sei so Brauch, genau wie Popcorn und Girlanden. Alte Leute hingen nun mal an ihren Traditionen wie eine Zecke an einem Hundeohr.
Cindy schlug die letzte Kerze aus und richtete sich hektisch wieder auf. Sie wirkte, als litte sie an Atemnot. Sofort spannte der Pfarrer sich innerlich an. Cindy neigte nämlich zu hysterischen Anfällen, deshalb wappnete er sich für das jüngste Drama.
»Im Keller ist eine von diesen Teufelsgestalten!«, rief Cindy. »Sie hat ein kleines Mädchen in ihrer Gewalt . Ohne Scheiß! Ruft die Polizei! Jemand soll endlich die gottverdammte Polizei rufen!«
Kurz dachte Pfarrer Owen darüber nach, ob er die Polizei rufen sollte, damit sie Cindy für ihr loses Mundwerk verhaftete. Eine Leitersprosse nach der anderen stieg er herab, wobei er sorgfältig darauf achtete, weder die Discokugel fallen zu lassen noch zu stürzen. Als er mit dem ersten Fuß den Boden berührte, kam der Teufel in die Kirche spaziert.
Er stieß einfach die Doppeltür auf, stapfte an Cindy und Mrs. Powell vorbei und schritt durch den Mittelgang. Satan war um einiges größer, als der Pfarrer ihn sich vorgestellt hatte, er maß gut zwei Meter, hatte zerzaustes, strähniges schwarzes Haar, einen Schwanz, rot leuchtende Augen und riesige gewundene Hörner, die ihm aus der Stirn wuchsen.
Aller Aufruhr verebbte, Stille senkte sich über die Kapelle, und selbst Cindy war sprachlos. Die Anwesenden starrten den Eindringling an: die Kinder, die Erwachsenen, alle.
Weitere Kostenlose Bücher