Krampus: Roman (German Edition)
dem Schuppen zum Beispiel. »Und Ohrenschützer«, fügte er halblaut hinzu. »Vergiss bloß nicht die gottverdammten Ohrenschützer.«
Er war gerade auf halbem Weg die Treppe hinauf, als das Polizeifunkgerät losplärrte. Im nächsten Moment erklang Noels hohe, aufgeregte Stimme: »Dillard«, rief er, »Dillard. Verflixt, Chief, melden Sie sich!«
Was ist denn jetzt schon wieder?, fragte sich Dillard, aber er konnte es sich schon denken, deshalb hastete er die letzten Stufen hinauf und zum Wohnzimmertisch. Er nahm das Funkgerät in die Hand.
»Ja, hier spricht Dillard.«
»Sie sind da! Diese Bande! Mitten in Goodhope! Was sollen wir jetzt machen?« Der Junge redete ohne Unterlass und verschluckte dabei die Hälfte – von vorschriftsmäßiger Professionalität keine Spur. Unter anderen Umständen hätte die völlige Verwirrung des Mannes Dillard ein Lächeln entlockt.
»He, ganz ruhig. Langsam. Wo genau in Goodhope?«
Der Kollege beruhigte sich so weit, das Dillard ihn verstehen konnte. »Wir haben eine Meldung über fünf oder sechs von ihnen. Sie sind bei der Methodistenkirche.«
Am Nordende der Stadt, dachte Dillard. »Wir treffen uns auf dem Parkplatz. Ohne Sirenen und Blaulicht. Tu nichts weiter, als sie im Auge zu behalten, bis ich vor Ort bin. Kapiert? Ich bin schon auf dem Weg.«
Von wegen! Schließlich musste er sich hier erst dringend um die beiden Weiber kümmern. Er steckte also in etwas, das sein Großvater als eine ganz schöne Zwickmühle bezeichnet hätte. Dillard schloss die Augen, rieb sich die Stirn und dachte angestrengt nach. Er kam zu dem Schluss, dass er zuerst einmal etwas gegen seine Kopfschmerzen unternehmen musste. Er stolperte ins Badezimmer, riss das Medizinschränkchen auf und warf mehrere Medikamentenfläschchen um, bis er schließlich die Flasche mit der Aufschrift »Imitrex« fand. Vorsorglich nahm er gleich die doppelte Dosis. Zufällig sah er sich im Spiegel und begriff mit einem Mal, dass er immer noch nackt war. »Verdammt noch mal.« Rasch zog er sich Hose und Schuhe an. »Na schön, Prioritäten setzen. Was hat oberste Priorität? Immer schön eins nach dem anderen. Zuerst kommt Jesse … dieser miese kleine Dreckskerl. Vielleicht habe ich ja nur diese eine Gelegenheit, den Hurensohn umzubringen. Und die Weiber? Die gehen ganz bestimmt so schnell nirgendwohin, stimmt’s? Nein. Dafür kann ich sorgen.«
So schnell wie möglich zog er sich fertig an und rannte zurück in den Keller, wo er die Kühltruhe vor die Bunkertür schob. Danach ging er wieder die Treppe hoch und legte vorsichtshalber noch den Riegel an der Kellertür vor. Dann nahm er sein Funkgerät und schaute sich ein letztes Mal um. Er versuchte, sich einzureden, dass er alles im Griff hatte, zumindest fürs Erste, zumindest bis er zurückkam. Als er kurz darauf im Streifenwagen saß und in Richtung Norden zur Methodistenkirche fuhr, hatte er nur noch einen Gedanken im Kopf: Jesse Walker zu töten.
***
Isabel zog Lacy in die Schatten neben der Eingangstreppe der Methodistenkirche. Sie kniete sich hin und blickte dem Mädchen direkt in die Augen. »Also, meine Süße. Es ist so weit. So, wie wir es besprochen haben. Bist du bereit?«
Die Miene des Mädchens verfinsterte sich. »Ich will nicht, dass du weggehst.«
»Ich weiß. Ich will auch gar nicht weggehen. Aber ich muss. Deshalb musst du jetzt stark sein, für mich … für uns beide. Wenn du nämlich zu weinen anfängst, muss ich auch weinen. Dann schnappen sie mich vielleicht. Und dann bekomme ich vermutlich große Schwierigkeiten.«
Lacy machte ein entschlossenes Gesicht und nickte. »Ich weine kein bisschen, versprochen.«
Da wurde Isabel klar, dass dieses kleine Mädchen verdammt viel verkraftete, und sie begriff, dass Lacy seit jeher stark sein musste, um trotz aller Widrigkeiten zu überleben.
Zwei Frauen, die beide aussahen wie Ende dreißig, übergewichtig waren und deren Gesichtern man ansah, dass sie im Leben schon einiges durchgemacht hatten, kamen den Weg zur Kirche entlang. Sie stiegen die Eingangstreppe hoch und traten durch die Tür. Isabel fand, dass sie wie gute, gottesfürchtige Menschen aussahen, Menschen aus der Gegend, denen sie vertrauen konnte.
»Lacy, ich möchte, dass du jetzt reingehst und dich diesen beiden Frauen vorstellst. Weißt du noch, was du sagen sollst?«
»Dass meine Mommy und mein Daddy tot sind. Dass eine Dame, die ich nicht kenne, mich hergebracht hat. Dass sie mir gesagt hat, ich soll Hilfe
Weitere Kostenlose Bücher