Krank für zwei
während sie einen Streifen in ihr Urinpöttchen tunkte. »Ja, klar, Peuler, hätte ich eher drauf kommen können, Eva Peuler, woll? Und das ist die Frau von dem ermordeten Chefarzt? Haben die auch Kinder?«
»Nee, die haben keine Kinder.«
»Na, dann wird’s gar nicht so einfach.« Silkes Stimme wurde ironisch. »Eine hypersoziale Ehefrau, keine Kinder. Wer eignet sich dann als Täter?«
»Was meinen Sie dazu, Frau Jakobs?« Andrea gab die Frage grinsend an Alexa weiter. »Wer hat’s getan?«
»Wer es getan hat?« Alexa zögerte einen Augenblick. »Keine Ahnung. Vielleicht irgend jemand, der seinen Blinddarm behalten wollte.«
Die beiden Arzthelferinnen guckten etwas kariert ’Aber macht nichts’, dachte Alexa, ’macht überhaupt nichts. Es ist schwül, ich bin schwanger. Einen besseren Zeitpunkt für unpassende Bemerkungen gibt es überhaupt nicht’
8
Ich kam zu spät. Benno war unmittelbar nach mir befragt worden. »Ohne daß ihm ein Haar gekrümmt worden wäre«, wie Marlene Oberste auf Nachfrage bittersüß bemerkte. Anschließend hatte die Hauptkommissarin mich und meinen Morgenmantel von oben bis unten gemustert. Mit einem Grinsen auf den Lippen, das mir die Röte ins Gesicht getrieben hatte. Irgendwann dann hatte ich meinen nougatbraunen Gürtel gestrafft und entschieden, die Umkehrstrategie anzuwenden.
»Ist jetzt trendy«, formulierte ich selbstbewusst. »Gestern noch in Paris, heute schon im Sauerland. Morgen werden Sie mich fragen, wo ich das Teil ergattert habe.«
Marlene Oberste hatte immer noch gegrinst, jetzt allerdings schon etwas freundlicher. »Bei Bedarf komm’ ich gern auf Sie zurück.«
Gelassen hatte ich die Schultern gezuckt und mich dann erhobenen Hauptes aus dem Staub gemacht. Benno war vermutlich längst wieder auf seiner Station. Oder aber er war gleich nach Hause gefahren. Jedenfalls war er nirgendwo mehr zu sehen.
Langsam schlenderte ich zu den Aufzügen zurück, entschied dann aber kurzfristig, die Treppen zu nehmen. Schon auf dem ersten Absatz mußte ich stehenbleiben. Verdammt die Schmerzen meldeten sich zurück. Ich wartete einen Augenblick bis es mir besser ging und ließ in der Zwischenzeit das Treppenhaus auf mich wirken. Es war in einem Farbton gestrichen, der mich fatal an die Badezimmerfliesen meiner Eltern erinnerte. In den 70er Jahren hatte man das sicherlich erfolgreich als »neutrales Grün« verkauft Allein um der Froschteichatmosphäre zu entkommen, setzte ich mich langsam wieder in Bewegung. Ein Stockwerk drüber hatte man zumindest für etwas Dekoration gesorgt: Eine Reihe von Portraitfotos lockerte den Mooscharakter erheblich auf. Es waren Aufnahmen der aktuellen Chefarzte. Auf Anhieb kannte ich nur Dr. Peuler. Das Foto war nicht mehr ganz neu, Peulers Haare waren auf dem Bild noch deutlich dunkler als gestern bei unserer Begegnung. Sein Gesicht allerdings war kaum gealtert. Der Mann hatte sich offensichtlich jung gehalten. Wie lange sein Foto hier wohl noch hängen würde? Und wer würde ihn ersetzen -vielleicht Dr. Lübke?
Von den übrigen Chefärzten sah ich mir vor allem den Gynäkologen besonders gut an. Dr. Volker Kellermann. Die Stimme, die ich eben belauscht hatte. Der Mann hatte stechend-blaue Augen und blondes, dichtes Haar. Alles in allem dynamisch, erfolgreich, braun gebrannt. Sicherlich der Typ Mann, bei dem sich die ein oder andere Frau nach der Geburt fragte, warum nicht er der Vater ihres Kindes war anstelle des bäuchigen Kleiderschranks an ihrer Seite.
Ich mußte an Kellermanns Worte denken. Fragt sich nur, ob Sie das noch erleben. Dieser Arzt hatte ganz offensichtlich neben den charmanten Zügen, die er auf dem Farbfoto präsentierte, noch eine andere Seite. Er war hart in seinen Aussagen und durchsetzungsfähig, was seine Interessen anging. Er hatte Lübke gedroht, aber hatte er auch Dr. Peuler umgebracht? Auf jeden Fall hatte es im Vorfeld des Mordes einen Konflikt zwischen Peuler und Kellermann gegeben – einen Konflikt, der die beiden Abteilungen anging. Hatte nicht auch Benno etwas in der Art angedeutet? Peuler habe in letzter Zeit genug Ärger mit der Gynäkologie gehabt? Ich mußte Benno unbedingt danach fragen. Ich mußte ihn so vieles fragen. Und ich mußte Leo, meinen Kollegen, anrufen, um zu hören, wie die Klausur gelaufen war. Und ich mußte mich bei meinen Eltern melden. Und ich mußte Alexa sprechen. Und ich mußte meine Schmerzen loswerden. Es war irgendwie ziemlich viel, was ich tun mußte, wenn man bedachte,
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