Krank (German Edition)
Das Opfer lag zwar an dem Ort, zu dem die Koordinaten uns geführt haben, ist aber vom Hochwasser ist ein gutes Stück den Fluss hinuntergetrieben worden. Die Koordinaten stimmten, als der Mörder – vor dem Sturm – den Tatort verließ.«
»Dass jemand die Öffentlichkeit mit Hilfe von Koordinaten über einen Mord in Kenntnis setzt, finde ich gruselig«, meinte Cherry kopfschüttelnd. »Ein Opfer kriegt ein sexy Outfit verpasst. Die Organe eines Mannes werden mit einem Lötkolben zum Kochen gebracht. Das geht über meinen Verstand, Ryder. Sie schreiben doch Bücher über so etwas. Wie lautet Ihre Interpretation?«
»Hier geht es um Kontrolle. Der Täter übt Macht aus, indem er seine Opfer foltert und sie dann gemäß seiner Vorstellung herrichtet – wie die Frau in dem Outfit. Und mit dieser GPS -Schnitzeljagd kontrolliert er auch uns. Es ist ja nicht so, dass wir die Opfer zufällig finden, sondern er schickt uns zu ihnen.«
»Ist das Töten für ihn ein Spiel?«, fragte McCoy, der ziemlich angeschlagen wirkte. »Foltert er nur zum Spaß? Tötet er, um uns seine Macht zu demonstrieren? In was für einer Welt leben Sie?«
»In derselben wie Sie, denke ich«, entgegnete ich nachsichtig. »Nur betrachte ich sie aus einer anderen Perspektive.«
Cherry stieß einen Seufzer aus. »Wir sollten uns mal das Heim des Opfers ansehen und vergewissern, dass es wirklich so gottesfürchtig war, wie Beale behauptet.«
*
Eine Meile die Straße weiter hinunter legten wir einen Zwischenstopp ein und hielten vor einer verwitterten Blockhütte, der weit und breit einzigen bewohnten Behausung. Sie wirkte wie ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Wenn man von dem riesigen silbernen Propangasbehälter und einem guten Dutzend selbstgebastelter Vogelhäuschen absah, die ringsum an Ahornbäumen hingen. Manche Nistkästen waren aus Eiche und Zeder und naturbelassen, andere rot, grün und blau lackiert. Ein wahres Vogelwohnheim.
»Wissen Sie, wer hier lebt?«, fragte ich Cherry, als sie auf die Auffahrt fuhr.
»Eine ältere Dame. Sie dürfte inzwischen Mitte achtzig sein. Letztes Jahr habe ich gleich nach Dienstantritt alle Straßen in diesem County abgefahren. Bei der Gelegenheit sah ich sie auf ihrer Veranda und habe ein paar Worte mit ihr gewechselt. Wie die meisten Leute, die in einer abgeschiedenen Bergregion wohnen, ist sie noch vom alten Schlag.«
Cherry klopfte mehrmals an und zuckte dann mit den Achseln. Da uns das Glück hier nicht hold war, fuhren wir weiter zu Tandee Powers’ Adresse.
Das Opfer hatte sechs Meilen weiter in einem Wohnwagen gehaust, der – wie Cherry es nannte – älter als die Arche Noah war. Das Ding stand in einer engen Schlucht und konnte nur über einen von Unkraut überwucherten Schotterweg erreicht werden.
Kaum waren wir um die nächste Kurve gebogen, sagte Cherry: »Oh Scheiße.«
Die Überreste des abgefackelten Wohnwagens rauchten noch. Leise murmelnd parkte Cherry ihr Dienstfahrzeug. Wir stiegen aus und kämpften uns durch glimmende Holzreste und verkohltes Aluminium.
»Ist heute Nacht abgebrannt«, konstatierte McCoy, der am Rand des Grundstückes kauerte und eine stark verkokelte Matratze studierte. »Brennt es in so einer Schlucht, bemerkt das keiner. Und wenn der Himmel wolkenverhangen ist, kann man auch den Rauch nicht sehen. Das Feuer wurde vor dem Regen gelegt.«
Cherry stellte sich neben McCoy und ließ mit hängenden Schultern den Blick über das Chaos schweifen.
»Eins muss man alten Wohnwagen lassen«, sagte sie nachdenklich. »Wenn man sie abfackelt, brennen sie gleich lichterloh. Und übrig bleibt auch nicht viel.«
Kapitel 11
Cherry brachte mich zu meinem Wagen. Mein Angebot, mit ihr zum Zeitvertreib zu plaudern, während sie ihren Papierkram erledigte, schlug sie aus. Also fuhr ich zu meiner Hütte, um Mix-up abzusetzen, und kam auf dem Weg an Charpentiers Unterkunft vorbei. Hinter der Hütte harkte eine einsame Gestalt den Garten. Ich winkte, doch der Psychologe war zu sehr in sein Tun vertieft, um von mir Notiz zu nehmen.
Zehn Minuten nach meiner Ankunft tauchte McCoy bei mir auf. Ich hob warnend den Zeigefinger und sagte: »Lee, wenn Sie mir erzählen wollen, dass ein neuer Cache auf der Website veröffentlicht wurde, stelle ich mich taub.«
»Nein, Gott sei Dank. Aber die, ähm, ungewöhnlichen Aspekte dieser Verbrechen geben mir Rätsel auf. Meinen Sie, Dr. Charpentier könnte uns helfen? Immerhin ist er Psychologe.«
Ich überlegte kurz und zuckte mit
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