Krank (German Edition)
aufgefuchstesten Pläne«, meldete Cherry sich wieder zu Wort.
McCoy lief zu dem Zaun hinter dem Wohnwagen, in dem Tanner gehaust hatte, probierte verschiedene Blickwinkel aus und spähte in den Kiefern- und Hemlocktannenhain, der aus einem Meer aus Geißblatt aufragte. Nachdem er mehrere Minuten lang das Areal betrachtet hatte, inspizierte er den Stacheldrahtzaun zwischen Tanners Grundstück und dem undurchdringlichen Nationalforstgelände. Er schritt den Zaun ab und studierte ihn mit derselben Sorgfalt wie die Bäume, die den Rock Bridge Trail säumten.
»Hier wurde der Zaun durchtrennt«, verkündete er schließlich und deutete auf eine Öffnung unweit von Tanners Hintertür. Cherry beugte sich nach unten und nahm die losen Drahtenden zwischen den beiden Zaunpfosten in Augenschein.
»Muss erst vor kurzem geschehen sein«, konstatierte sie. »Keine Spur von Rost zu erkennen.«
McCoy stiefelte durch die Öffnung und verschwand im Wald. Ich folgte ihm und suchte nach Fußabdrücken und abgeknickten Zweigen. McCoy beschattete die von Krähenfüßen eingerahmten Augen mit der Hand und ließ den Blick über die Baumkronen schweifen.
»Da«, rief er. Wir waren keine zehn Meter weit gekommen. Ein Stück weiter vorn erblickte ich ein schwarz-grünes Metallding – vermutlich ein Stuhl –, das an einem Baum befestigt war.
»Ein Hochsitz?«, fragte ich.
»Ja, eins von diesen tragbaren Dingern mit Camouflageanstrich«, weihte McCoy mich ein. »Der Mörder klettert auf den Baum, baut seinen Hochsitz auf, setzt sich hin und beobachtet Tanners Grundstück. Er notiert sich Tanners Tagesablauf, stellt ihm den vergifteten Eintopf vor die Tür und wartet, bis er in den Wohnwagen gehen und – wie haben Sie das noch gleich genannt? – seinen symbolischen Moment erleben kann.«
»Puh«, entfuhr es Cherry, die auf halber Strecke zwischen Wald und Tanners Wohnwagen stehen geblieben war. »Gut möglich, dass der Kerl die ganze Show von hier aus verfolgt hat.«
Ich kletterte den Baum hinauf. Der Hochsitz war so installiert, dass man alle Fenster auf der Rückseite von Tanners Wohnwagen in Augenschein nehmen konnte. Mit einem guten Fernglas würde man selbst den kleinsten Pickel erkennen.
Ich klappte den Hochsitz zusammen. Vielleicht hatten wir Glück und fanden auf dem Gestänge die Fingerabdrücke des Mörders, was angesichts der an Pedanterie grenzenden Sorgfalt, die er bislang an den Tag gelegt hatte, eher unwahrscheinlich war. McCoy drang tiefer in den Wald vor, während Cherry und ich vergeblich das Erdreich in der Nähe des Baumes nach Spuren absuchten.
»Dort hinten gibt es einen Weg«, rief McCoy ein paar Minuten später. Wir folgten seiner Stimme zu einem unbefestigten Pfad im Unterholz, den man leicht übersehen konnte.
»Ziemlich holprige Piste für ein Auto«, meinte ich. »Mit einer Motocross-Maschine kommt man hier allerdings schon durch, oder?«
»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen«, nickte McCoy und deutete auf Reifenspuren in der grauen staubigen Erde. »Wäre ich der Täter, würde ich bis zur Feuerschneise fahren, die auf Betreiben der Forstverwaltung eine Viertelmeile weiter nördlich angelegt wurde. Von dort aus erreicht man innerhalb von zehn Minuten eine geteerte Straße. Unser Mann hat nichts dem Zufall überlassen.«
In dem Moment klingelte McCoys Handy. Er klappte es auf, redete ein paar Minuten, fragte den Anrufer nach Uhrzeiten und wann genau die Sonne aufgegangen war. Er musste kurz warten, nickte und wandte sich dann an Cherry und mich.
»Die Spinnen haben gesprochen. Und was sie zu erzählen haben, ist höchst interessant. Wir sollten jetzt zum Park rüberfahren. Dort kann ich eine kleine Demonstration improvisieren.«
Kapitel 31
Wir trafen uns im Büro der Parkverwaltung. Cherry hatte sich an die Vorschriften gehalten und Beale verständigt, der sich murrend bereit erklärte, zu uns zu stoßen. Er brachte Caudill mit, damit sich hinterher wenigstens einer an das erinnerte, was besprochen wurde.
»Sie ziehen diese Nummer hier ohne das FBI durch?«, monierte der Sheriff sofort. »Das wird Krenkler gar nicht freuen.«
»Das FBI wird über alles in Kenntnis gesetzt, Roy. Und falls wir etwas vergessen, können Sie ja die Lücken füllen, oder?«
Beale, der nur nickte, sich auf einen Stuhl fallen ließ und dabei furzte, schien ihren sarkastischen Unterton nicht zu bemerken.
Kurz darauf stieß ein weiblicher Ranger Anfang zwanzig zu uns und reichte McCoy einen Schnellhefter mit
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