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Krank (German Edition)

Krank (German Edition)

Titel: Krank (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerley
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Vertrag nach und konnte ihn zum Nachdenken bewegen, indem ich ihm zehn plus x in Aussicht stellte.«
    »Zehn Prozent Zinsen?«
    »Nein, Jahre im Knast.«
    Der Boden unter uns fiel weg. Plötzlich schwebten wir in einer luftigen Höhe von zwanzig, dreißig, vierzig Metern. Schwer schluckend testete ich den Bügel. Wir glitten an einem der Liftmasten vorbei, und ich fragte mich, wann die Anlage wohl das letzte Mal gewartet worden war.
    »Sie wirken ziemlich nervös, Ryder. Ich dachte, Sie hätten etwas fürs Klettern übrig.«
    »Mir geht’s prima«, log ich und tat so, als müsste ich gähnen. »So ein Sessellift wird doch garantiert in regelmäßigen Intervallen gewartet, nicht wahr?«
    Cherry tätschelte meinen Unterarm. »Die Masten sind aus Stahl und tief im Felsboden verankert. Und Sie fühlen sich sicherer, wenn Sie in zwanzig Metern Höhe an einem kleinen Haken hängen? Sind das da auf Ihrer Stirn etwa Schweißperlen?«
    Ich murmelte irgendetwas, was sie zum Lachen brachte. »Ist Ihnen bewusst, was hier gerade geschieht?«, fragte sie mich.
    Ich spähte an meinen baumelnden Füßen vorbei. Der Abstand zwischen uns und dem Boden vergrößerte sich zusehends.
    »Was denn?«
    »Es geht um Kontrollverlust. Beim Klettern haben Sie das Heft in der Hand. Im Sessellift nicht. So ist es doch, oder?«
    Aus Angst, dass meine Stimme versagen würde, antwortete ich nicht. Stattdessen richtete ich den Blick nach vorn. Die Liftseile verliefen nicht mehr parallel zum Boden, sondern folgten dem steilen Berghang. Wie konnte das funktionieren? Wieso sorgte nicht allein das Gewicht der fetten Drahtseile dafür, dass sie aus den Führungen sprangen?
    Cherry drehte den Kopf und ließ den Blick über die hinter uns liegenden Bänke schweifen, die – wie die uns entgegenkommenden – allesamt leer waren. Außer uns nutzte den Lift keine andere Menschenseele.
    »Das verstößt zwar gegen die Regeln, aber …« Cherry entsicherte den Bügel und schob ihn nach oben. Nun saßen wir vollkommen ungeschützt auf einer schmalen Holzbank über einer tiefen Steinschlucht. Und stiegen weiter aufwärts. Cherry schlug ein Bein über das andere und deutete nach unten auf die Erde, die sich immer weiter von uns entfernte.
    »Schauen Sie auf diese Welt herab, Ryder«, sagte sie. »Was macht sie?«
    Auf gar keinen Fall würde ich einen Blick in die Tiefe riskieren. »Keine Ahnung. Sich um die eigene Achse drehen?«
    »Sie verliert an Bedeutung.«
    Als ein Windstoß die Bank zum Schaukeln brachte, klammerte ich mich an der Armlehne fest. Cherry lächelte versonnen und verschränkte die Hände hinterm Kopf.
    Der Lift brachte uns so hoch, dass wir die meisten Berggipfel überragten, und bescherte uns einen Ausblick über ein Meer aus wogendem Grün. Cherry kam ein wohliger Seufzer über die Lippen, als fielen alle negativen Gedanken von ihr ab, als lösten sich bei ihr alle Verspannungen, als schwebe sie plötzlich über den Dingen.
    Kaum hatten wir den Gipfel erreicht, sprang ich von der Bank und freute mich darüber, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Wir mussten nur ein paar Schritte gehen, um zur Natural Bridge zu gelangen, nach der der Park benannt war. Im Lauf von Millionen von Jahren hatten Wind und Regen die sieben Meter breite und dreißig Meter lange Felsbrücke geschaffen. Wir stellten uns an den Rand und genossen das Panorama.
    »Ich weiß nicht, was da abläuft«, meinte Cherry.
    »Keine Ahnung, wovon Sie reden.«
    »Wenn die Welt mich wie während der letzten drei Wochen fast um den Verstand bringt, muss ich nur, wie jetzt, in den Sessellift steigen, und alle Sorgen fallen von mir ab. Dann stehe ich – zumindest für kurze Zeit – über den Dingen und fühle mich besser, geläutert. Sie haben doch Psychologie studiert. Finden Sie das komisch?«
    »Ich weiß nicht so recht, worauf Sie hinauswollen.«
    »Der Sessellift ist doch nur ein Ding, das mich ein paar hundert Meter in die Höhe katapultiert. Und obwohl sich in Wahrheit gar nichts ändert, fühle ich mich wie verwandelt. Aber wieso das so ist, kann ich mir nicht erklären.«
    »Sie vertrauen der Metapher«, sagte ich. »Für Sie ist die Fahrt mit dem Sessellift gleichbedeutend mit einer Art von Flucht, bei der Sie sich von allem lossagen. Solange Sie das Gleichnis nicht in Frage stellen, sorgt Ihr Unterbewusstsein dafür, dass das Erwartete eintritt.«
    »Vielen Dank für Ihre Interpretation.«
    Schmunzelnd saugte sie den Ausblick in sich auf. Wie gern

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