Krank (German Edition)
hätte ich in diesem Moment ihre Hand gehalten, nicht aus einem frivolen Verlangen heraus, sondern um mich zu vergewissern, dass hier oben, auf dem Dach der Welt, ein anderes menschliches Wesen an meiner Seite war. Ich streckte meine Hand nach ihrer aus und spürte, wie sich ein leises Kribbeln in meinem Bauch regte, das von einem Anflug von Verliebtheit herrührte.
Und dann tauchten wie aus heiterem Himmel zwei Dutzend laut schnatternde und fotografierende Touristen aus Deutschland auf. Der Bann war gebrochen, und wir kehrten in die reale Welt zurück.
Kapitel 33
»Ich hätte einen Vorschlag«, meinte Cherry, als wir in ihren Wagen stiegen. »Morgen muss ich mich wieder mit dem FBI rumschlagen und für Xanthippe Krenkler Besorgungen machen. Was halten Sie davon, wenn ich Sie jetzt zu Ihrer Hütte bringe, vielleicht ist Ihr Hund ja wieder aufgetaucht, und wir anschließend bei mir daheim zu Abend essen?«
»Ich weiß nicht, ob ich …«
»Jetzt tun Sie mal nicht so bodenständig, Carson. Ich möchte noch ein kleines Weilchen über den Dingen schweben. Also, was ist?«
Zum ersten Mal hatte sie mich mit meinen Vornamen angesprochen. Ich konnte es nicht erklären, aber in dem Moment wäre ich mit ihr vom nächsten Felsen gesprungen, hätte sie mich darum gebeten.
»Na, dann schweben wir eben noch ein bisschen«, antwortete ich.
Wie erwartet, trafen wir Mix-up daheim nicht an. Cherry erklärte mir, wie ich am besten zu ihr gelangte, und verabschiedete sich. Ich duschte, zog ein frisches weißes Hemd, eine kaum getragene Kordhose und neue Socken an. Anschließend stellte ich für Mix-up frisches Futter und Wasser auf die Veranda. Als ich in den undurchdringlichen Wald spähte, wurde mir flau im Magen. Ich atmete mehrmals tief durch und erinnerte mich, wie Cherry hoch oben über den Gipfeln neben mir gestanden und sich wenigstens für eine kleine Weile lang frei gefühlt hatte.
Auf der Fahrt zu ihr kam ich am Haus meines Bruders vorbei. Er saß auf der Veranda, las Zeitung und würdigte mich keines Blickes.
*
Zweimal fuhr ich an Cherrys Haus vorbei und hätte es sogar ein drittes Mal verpasst, wäre ich nicht auf den Kiesweg gebogen, den ich bislang für die Zufahrt zu einer Querfeldeinstrecke gehalten hatte. Wild wuchernde Pflanzen säumten den Pfad. Anscheinend legte Cherry Wert darauf, dass ihre Gäste mit der ungebändigten Natur in Berührung kamen. Nach ein paar hundert Metern bremste ich auf einem Kiesparkplatz hinter einem zweistöckigen Blockhaus mit spitzem grünem Metalldach und parkte neben ihrem Dienstwagen und einem von Schlammspritzern übersäten Jeep.
»Kommen Sie nach vorn«, hörte ich Cherry rufen.
Ich folgte dem Kalksteinplattenweg und kam an einem mächtigen gemauerten Kamin vorbei, dessen rote Backsteine einen wunderbaren Kontrast zu den quadratischen Holzbalken des Hauses bildeten. Ein Stück weiter vorn tat sich ein atemberaubender Ausblick auf die Bergwelt auf: So weit das Auge reichte, sah man grüne Wälder, hohe Bergmassive und mächtige Felsen.
Auf der breiten Veranda schaukelte Cherry in einer Hängematte. Aus den offenen Fenstern schallte Musik – eine Frau sang mit klagender Stimme eine Rockballade. Cherry trug ein schlichtes weißes Kleid mit quadratischem Ausschnitt, das ihr bis zu den Knien reichte. Obwohl die Eleganz ihres Outfits durch die Baseballkappe mit dem Ruger-Waffen-Aufdruck etwas geschmälert wurde, stockte mir bei ihrem Anblick kurz der Atem.
»Was halten Sie von einem kühlen Bier an diesem heißen Tag?«, fragte sie.
»Klasse Idee.«
Sie verzichtete auf die Sandalen, die unter der Hängematte standen, und schlenderte barfuß ins Haus. Ich widmete mich wieder dem Ausblick. Direkt vor Cherrys Haus, das auf einer Felsplatte stand, gab es eine vertrocknete Wiese, die vor einer tiefen Sandsteinschlucht endete.
So weit mein hasenfüßiges Herz es erlaubte, näherte ich mich dem Abgrund und erblickte ein Meer aus Baumwipfeln, zwischen denen sich noch etwas weiter unten ein kleiner Bach hindurchschlängelte. Zu beiden Seiten der Schlucht ragten zwischen den dichtbewachsenen Berghängen kleinere Sandsteinfelsen auf. Ich hielt den Atem an, als befände ich mich unter Wasser.
»Passen Sie auf, Ryder«, warnte Cherry mich. »Ein falscher Schritt, und Sie landen dort unten.«
Ich kehrte auf die Veranda zurück, wo Cherry ein Tablett mit Sandwiches und Bier auf den Tisch stellte. »Ich hätte schwören können, dass noch ein Rest Ente à l’orange im Kühlschrank
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