Krank (German Edition)
Tisch und beugte sich hinunter. »Glauben Sie immer noch, dass es eine Frauenstimme war, die Sie zu dem Opfer mit dem Lötkolben im Anus geschickt hat?«
»Zumindest hörte es sich so an«, sagte ich. Das entsprach durchaus der Wahrheit, denn mein Bruder war bei seinem Anruf in die Rolle einer Frau geschlüpft.
»Sind Sie sich absolut sicher?«
»Ja.« Ich fühlte mich so ausgeblutet und erschöpft, als klammerte ich mich immer noch an eine Felswand, während jemand von unten auf mich schoss.
Krenkler richtete sich auf, trat zurück und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Pinienwand. In ihrem schwarzen Hosenanzug und dem ausgestellten Kragen ähnelte sie einem lauernden Raben, nur blonder.
»Ryder, fällt Ihnen ein Grund ein, weshalb Robert Crayline drei Personen aus dieser Gegend umgebracht haben könnte?«
Wieder fuhr ich mit der Hand über mein Gesicht. »Ich wüsste nicht, was er gegen …« Ich brach ab, denn plötzlich hörte ich die Worte, die Crayline am Tag seiner Flucht geäußert hatte, nachdem der von seinem Anwalt angeheuerte Schläger Bobby Lee bespuckt und ihn als degenerierten Trottel bezichtigt hatte.
»Jetzt rücken Sie schon raus mit der Sprache, Ryder«, forderte Krenkler. »Was ist?«
»Am Tag seiner Flucht hat Bobby Lee einem Mann namens Bridges gedroht. Wie er mit Vornamen heißt, weiß ich nicht mehr. Bridges ist ein muskulöser Dummkopf, der vermutlich hin und wieder für Craylines Anwalt arbeitet. Rufen Sie Arthur Slezak von Dunham, Krull & Slezak in Memphis an und fragen Sie ihn, ob er Bridges in letzter Zeit gesehen hat.«
Krenkler runzelte die Stirn. »Sie denken, der Tote mit dem Lötkolben im Hintern könnte dieser Bridges sein?«
Ich vergegenwärtigte mir das Horrorszenarium in der stinkenden Hütte, erinnerte mich an den mit Draht ans Bett gefesselten Leichnam. »Das Gesicht des Opfers war vollkommen entstellt«, meinte ich, »aber der Körper passt von der Größe her. Der Tote war muskulös und durchtrainiert. Crayline drohte Bridges damit, seine Eingeweide zu rösten und zu verspeisen.«
Hinter meinem Rücken murmelte einer der Agenten Heilige Scheiße . Krenkler bedachte ihn mit einem erbosten Blick. »Könnten Sie sich nach diesem Bridges erkundigen?«, herrschte sie ihn an. »Oder ist das etwa zu viel verlangt?«
In den vergangenen zwölf Stunden war ich nur einmal kurz in meiner Hütte gewesen war, um mich umzuziehen und zu meinem Leidwesen festzustellen, dass mein Hund immer noch nicht aufgetaucht war. Müde stand ich auf.
»Was haben Sie denn vor? Sie denken doch nicht im Ernst daran, zu gehen, oder?«, knurrte Krenkler.
»Ich möchte duschen und muss mich ein paar Stunden aufs Ohr legen«, entgegnete ich ruhig. »Falls jemand etwas dagegen hat, kann er mich davon abbringen, indem er die Waffe zieht.«
Mein Pick-up stand immer noch auf Cherrys Grundstück, und ich durfte ihn erst wegfahren, wenn die Spurensicherung den Tatort freigab. Also bot Cherry an, mich daheim abzusetzen, doch Krenkler hielt sie zurück, um ihr Fragen zu stellen. Im Kern ging es darum, warum Crayline ausgerechnet Woslee County zum Schlachtfeld auserkoren hatte. Die Vorstellung, von Krenkler mit Fragen bombardiert zu werden, schien Cherry nicht zu erfreuen, aber es gehörte nun mal zu ihrem Job. So kam es, dass Agent Rourke – der menschlichste Roboter aus Krenklers Team – mich nach Hause chauffierte.
»Wie ist es, mit Agent Krenkler zu arbeiten?«, fragte ich ihn.
»Ich gehe in zwei Monaten in Rente«, sagte er, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Fragen Sie mich dann noch mal.«
»Okay.«
Er setzte mich vor meiner Haustür ab. Insgeheim hatte ich gehofft, dass das Schicksal mir vielleicht wohlgesinnt war und entschieden hatte, mir meinen Hund zurückzugeben.
Weit gefehlt.
Nachdem ich geduscht und mich umgezogen hatte, war ich auf einmal nicht mehr müde, was wohl dem erhöhten Adrenalinausstoß zuzuschreiben war. So verschlang ich zwei Schokoriegel und kochte so starken Kaffee, dass man damit Tote auferwecken konnte. Ich gab einen Schuss Maker’s Mark in die Tasse, setzte mich auf die Terrasse und kam ins Grübeln.
Das erste Mal war Crayline im Alabama Institute for Aberrational Behavior gewesen, als mein Bruder dort einsaß, was an sich noch nicht viel bedeutete. Im Institut, in dem siebzig oder achtzig Patienten fest untergebracht waren, wurden zusätzlich ungefähr hundert Kriminelle pro Jahr für ein paar Tage oder Wochen beobachtet oder
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