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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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… Abscheulich! Wie konnte ich nur nicht sehen, wie widerlich das war …»

XIII
    Zwei Passagiere stiegen ein und nahmen auf der Bank am anderen Wagenende Platz. Bis sie sich eingerichtet hatten, schwieg Posdnyschew, verlor aber keineswegs den Faden, sondern führte seinen Gedanken fort, sobald sie still wurden.
    «Das Elend besteht ja vor allem darin», begann er wieder,«dass der Theorie nach die Liebe etwas Ideales, Erhabenes ist, in der Praxis aber ist sie etwas Ekelhaftes, Schweinisches, wovon zu reden und woran zu denken ekelhaft und beschämend ist. Und das hat die Natur ja nicht umsonst so eingerichtet, dass es ekelhaft und beschämend ist. Wenn man sich ekelt und schämt, dann soll das so sein. Bei der Liebe aber tut man,
als sei das Ekelhafte und Beschämende schön und erhaben. Worin äußerte sich meine Liebe als Erstes? Darin, dass ich mich exzessiv meinen tierischen Trieben hingab und mich dafür nicht nur nicht schämte, sondern aus irgendeinem Grund sogar stolz war auf die Möglichkeit dieser physischen Exzesse, wobei ich nicht nur das geistige, sondern auch das körperliche Wohl meiner Frau völlig außer Acht ließ. Ich verstand nicht, warum wir uns mit solcher Erbitterung begegneten, dabei war die Sache völlig klar: Diese Erbitterung war nichts anderes als das Aufbegehren der menschlichen Natur gegen die tierischen Triebe, die sie unterdrückten.
    Ich wunderte mich über unseren Hass aufeinander. Doch es konnte gar nicht anders sein. Unser Hass war schlicht der von zwei Menschen, die gemeinsam ein Verbrechen begangen haben – der Hass auf den Anstifter und der Hass auf den Komplizen und Mitwisser. Was war es denn anderes als ein Verbrechen, was wir taten, da doch sie, die Arme, schon im ersten Monat schwanger wurde, unser schweinisches Verhältnis aber weiterging? Sie glauben, ich schweife ab? Keineswegs! Ich erzähle immer noch, wie ich meine Frau umgebracht habe. Vor Gericht hat man mich gefragt, womit und wie ich sie
umgebracht habe. Dummköpfe! Sie glauben, ich hätte sie mit dem Messer umgebracht, damals, an jenem fünften Oktober. Ich habe sie nicht damals umgebracht, sondern viel früher. So wie alle heutzutage ihre Frauen umbringen, alle, alle …»
    «Wie das?», fragte ich.
    «Es ist schon erstaunlich, dass niemand wissen will, was so klar und offen zutage liegt, etwas, das die Ärzte wissen und predigen müssten, wovon sie aber schweigen. Die Sache ist doch furchtbar einfach. Mann und Frau sind genauso geschaffen wie die Tiere: Auf die körperliche Liebe folgt die Schwangerschaft, und darauf die Stillzeit, beides Zustände, in denen die körperliche Liebe für die Frau wie auch für ihr Kind schädlich ist. Frauen und Männer gibt es gleich viele. Was folgt also daraus? Scheinbar ist es ganz klar. Man braucht kein großer Weiser zu sein, um daraus denselben Schluss zu ziehen wie die Tiere: Enthaltsamkeit. Aber nein. Irgendwelche Leukozyten hat die Wissenschaft entdeckt, die im Blut herumwimmeln, und allerlei überflüssiges dummes Zeug, dies aber hat sie nicht verstanden. Zumindest hört man sie davon nicht sprechen.
    Für eine Frau gibt es also nur zwei Auswege: Der eine ist, sich selbst zu verstümmeln und ihre
Fähigkeit, Frau, das heißt Mutter zu sein, je nach Bedarf auf Anhieb oder allmählich zu zerstören, damit der Mann in seinem Genuss nicht gestört oder eingeschränkt wird; der zweite Ausweg aber ist eigentlich kein Ausweg, sondern einfach jene grobe und direkte Verletzung der Naturgesetze, die in allen sogenannten ehrbaren Familien geschieht. Sie besteht darin, dass die Frau entgegen ihrer Natur gleichzeitig Schwangere, stillende Mutter und Geliebte sein muss, also etwas, wozu kein Tier sich je herablässt. Ihre Kräfte können dafür gar nicht reichen. Hierher rührt die Hysterie in unserem Alltag, und beim einfachen Volk die Fallsucht. Wohlgemerkt, unter den jungen, noch unberührten Mädchen gibt es keine Fallsucht, nur unter den verheirateten Frauen, und zwar denen, die mit ihren Männern zusammenleben. So ist es bei uns. Und in Europa ist es nicht anders. Die Krankenhäuser sind voll von hysterischen Frauen, die gegen das Naturgesetz verstoßen. Und dabei sind die Fallsüchtigen und die Charcot-Patientinnen 14 nur die völlig Invaliden, von halb invaliden Frauen aber wimmelt es auf der Welt. Man denke nur, was für ein großes Werk sich in einer Frau vollzieht, wenn sie ein Kind im Leib trägt oder stillt. Da wächst heran, was uns fortsetzt und ablöst.
Und dieses

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