Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld
fürchte und nicht weiß, worüber ich mich mit ihm unterhalten soll.»
Der Fürst beobachtete Annas Verfassung mit Befremden und einer gewissen Verärgerung und sah, dass aus alldem, was ihm seine verderbte Phantasie gemalt hatte, als er an die Flitterwochen mit einer hübschen Achtzehnjährigen dachte, nichts außer Trübsal geworden war, Trübsal, Enttäuschung und qualvoller Bedrückung einer jungen Ehefrau. Nicht ein einziges Mal hatte er daran gedacht, ihr zunächst jene Seite des Liebeslebens näherzubringen, der er bei den Hunderten von Frauen, mit denen er es bisher zu tun gehabt hatte, auf so vielfältige Weise zu begegnen gewohnt war.
Er begriff nicht, dass das, was ihn jetzt verdross, Annas Reiz ausmachte und ihn, was ihre künftige
Reinheit und Treue betraf, jeglicher Sorge enthob. Er begriff auch nicht, dass die von ihm wenn auch spät geweckte Leidenschaft ihm allein vorbehalten bleiben würde, dass sich ihre Schamhaftigkeit gegenüber ihrem Ehemann zu noch größerer Schamhaftigkeit gegenüber anderen Männern entfalten und ihm für immer seine Ehre und Ruhe gewährleisten würde.
Unterdessen gewöhnte sich Anna nach und nach an ihre Situation und stellte allmählich eine größere Nähe zu ihrem Mann her. Sie war bestrebt, sich auf das Leben und die Interessen des Fürsten einzustellen und ihm zu helfen, so gut sie konnte. Sie ging oder fuhr mit ihm durch das Gut, las seine Aufsätze und schrieb sie ins Reine; abends lasen der Fürst oder Anna im Zimmer der alten Fürstin aus neuen Büchern und Zeitschriften vor.
Bisweilen verfiel Anna in kindliche Spiellaune, amüsierte die alte Fürstin, lief und hüpfte umher, konnte jedoch ihr jugendliches Bedürfnis nach Bewegung und Frohsinn in der Eintönigkeit des Gutshofs nicht recht ausleben.
Der Fürst war ein tüchtiger Gutsherr, der sein Metier leidenschaftlich liebte. Die Heirat hatte ihn vorübergehend daran gehindert, den wirtschaftlichen Obliegenheiten nachzukommen, dafür
befleißigte er sich jetzt, das Versäumte nachzuholen. Überall wurde eifrig gearbeitet. Im Wald beseitigten Scharen von Bauern vertrocknete Äste; den ganzen Tag waren an allen Ecken und Enden des Waldes Axtschläge und Rufe zu hören. Im Garten nahm man die letzten Pflanzungen vor und räumte die herausgestellten Bäume und Gewächse in die Orangerie. Auf der Tenne war die Dampfdreschmaschine ständig in Betrieb. Der Fürst selbst widmete sich vom frühen Morgen an der Jungwaldanpflanzung, seiner Lieblingsbeschäftigung. Er traf die Anordnungen, maß die Abstände zwischen den Pflanzgruben, trieb die Tagelöhner zur Eile an.
«Pass auf, die Rasenplatte kommt auf den Grund der Grube, so wird das gemacht: herumdrehen und den Erdklumpen zerschlagen», erklärte er einer Frau.«Halt, so nicht, du gräbst die Wurzeln zu tief ein», sagte er zu einer anderen.
Vierzig Tagelöhnerinnen pflanzten reihenweise junge Bäume, der kurze Tag ging bereits zu Ende, und es war Zeit, sie zu entlassen.
Anna, die den Fürsten zum Essen erwartete, hielt es nicht länger aus und ging ihn holen. Er sah ihre schlanke weißgekleidete Gestalt von Weitem und lächelte froh.«Kommst du mich holen, Anna? Entschuldige, ich habe es nicht
zum Essen geschafft. Wir sind gleich fertig. Es ist auch Zeit, die Leute zu entlassen.»
«Kann ich nicht helfen?», fragte Anna, indem sie näher trat und zu erraten versuchte, was noch zu tun war.
«Natürlich kannst du. Sorg dafür, dass die auf die Gruben verteilten Bäumchen noch eingepflanzt werden, sonst trocknet der Wind bis morgen das Wurzelwerk aus.»
«Ich werde mitpflanzen.»
Anna zog ihren Sommermantel aus, hängte ihn an ein Bäumchen, schlug sich ihr weißes Wolltuch kreuzweise um die Brust, band es hinten zusammen und machte sich ans Pflanzen der Bäume.
Der Fürst beobachtete ihre geschickten, schönen Bewegungen eine Weile mit Wohlgefallen, atmete glücklich auf und entfernte sich zum anderen Ende des Pflanzgartens.
Anna ging von Grube zu Grube, verrichtete froh ihre Arbeit und unterhielt sich mit den Frauen, die sie noch nicht kannte. Eine von ihnen trat vor sie hin, sah ihr fest in die Augen und sagte mit dreister Kühnheit:«Ja, also, liebe Fürstin, Euer Durchlaucht, im Herrenhaus nimmt man mich nicht mehr als Tagelöhnerin. Gestern hat Awdotja die Fenster geputzt, als ob sie’s
könnte. Bisher hab’ ich das immer gemacht. Zu allem gehört Übung.»
«Da weiß ich nicht Bescheid», erwiderte Anna,«mir ist es egal, das bestimmt die
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