Kreuz des Südens
bereits Popeye und hörte auf keinen anderen Namen.
Hammer und Popeye trödelten nicht auf ihrem Gang durch das restaurierte Viertel Church Hill, den historischen Stadtkern von Richmond, nicht weit jener Stelle, wo die Engländer ihr Kreuz errichtet hatten. Zielstrebig gingen Herrin und Hund vorbei an Vorkriegs-Villen mit schmiedeeisernen Gartenzäunen, überdachten Hausaufgängen und echten und imitierten Schieferdächern, mit Türmchen, steinernen Türeinfassungen, geschnitzten Holzpaneelen und Rauchglas, mit verschnörkelten Veranden und Giebeln, mit den pittoresken erhöhten, so genannten englischen Kellern und dicken Schornsteinen für offenes Feuer.
Sie folgten der East Grace Street bis zum Panoramablick an ihrem Ende, der zu den beliebtesten der ganzen Stadt zählte. Auf der einen Seite des Steilhangs lag die Radiostation WRVA, auf der anderen Seite Hammers neoklassizistische Villa aus dem 19. Jahrhundert, die gegen Ende des Bürgerkriegs von einem Mann aus der Tabakindustrie erbaut worden war. Hammer liebte die alte Ziegelbauweise, die eingefassten Gesimse, das flache Dach, den Eingang aus Granit. Sie war süchtig nach Orten mit Vergangenheit und hatte immer darauf bestanden, im Herzen ihres eigenen Wirkungsbereichs zu wohnen. Sie sperrte die Haustür auf, schaltete die Alarmanlage aus, befreite Popeye von der Leine, ließ sie eine Runde »sitz«, »mach hübsch«, »platz« absolvieren und belohnte sie mit einem Leckerbissen. Dann ging sie in die Küche und machte Kaffee, ihr allmorgendliches Ritual. Nach dem Spaziergang und Popeyes täglicher Lektion in Verhaltensverbesserung setzte sie sich ins Wohnzimmer, überflog die Zeitung und ließ ihren Blick aus der Fensterfront über die großen Bürogebäude, das Capitol, das Medical College von Virginia und das riesige Gebäude des Biotechnologischen Forschungszentrums der University of Virginia schweifen. Man sagte, Richmond sei auf dem Weg, die »Stadt der Wissenschaft«, der Aufklärung und der Gesundheitsvorsorge zu werden.
Doch als die Erste Ordnungshüterin über die Gebäude und Straßen der Innenstadt blickte, war sie sich der bröckelnden Schornsteine, der verrostenden Eisenbahnanlagen und Brücken, der aufgegebenen Fabriken, zugestrichenen und zugenagelten Fenster der Tabak-Lagerhäuser nur zu bewusst. Sie wusste, dass an die Innenstadt grenzend und gar nicht so weit, von wo sie lebte, es fünf soziale Wohnungsbauprojekte gab, zwei weitere in der Southside. Die politisch unkorrekte Wahrheit war, dass es sich hierbei um Keimzellen des sozialen Chaos und der Gewalt handelte, und dass es offenkundig war, dass der Bürgerkrieg noch immer im Süden verloren wurde.
Hammer blickte über Richmond, das sie mit der Aufgabe betraut hatte, seine anscheinend hoffnungslosen Probleme zu lösen. Es wurde hell, und Hammer fürchtete, dass der Winter noch ein letztes Mal grausam zuschnappen könnte. Wäre das nicht typisch? Mit einem Strich alles ausgelöscht, was in ihrem maßlos nervenaufreibenden Leben noch an Schönheit geblieben war?
Als sie die Entscheidung, die sie nach Richmond führte, getroffen hatte, war sie nicht bereit gewesen, auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, dass sie im Grunde genommen vor ihrem eigenen Leben davonlief. Ihre beiden Söhne waren erwachsen und hatten sich schon lange von ihr abgenabelt; lange bevor deren Vater, Seth, krank geworden und im letzten Frühjahr verstorben war. Judy Hammer hatte tapfer weitergemacht und sich in die Mission ihres Lebens geworfen wie ein Kreuzritter in seinen Umhang.
Sie war von ihrem Posten als Chefin des Police Department Charlotte, North Carolina, zurückgetreten, wo man sie für die Wunder, die sie in ihrer Funktion bewirkt hatte, angefeindet und gefeiert hatte. Sie hatte beschlossen, dass es ihre Aufgabe sei, auch in anderen Städten des Südens aufzuräumen und neue Strukturen zu errichten. Sie hatte dem NIJ, dem National Institute of Justice, einem dem Justizministerium angegliedertem Rechtsforschungsinstitut, ein Projekt vorgeschlagen. Dieses Projekt gab ihr die Möglichkeit, sich die uneffektiven Police Departments des Südens vorzunehmen, dort jeweils ein Jahr zu wirken und sie in einer Organisation zu vereinen, in der das Prinzip Einer fü r Alle - Alle für Einen gelten würde. Hammers Philosophie war einfach. Sie glaubte nicht an den Satz: Mehr Rechte für die Polizei. Sie wusste aus Erfahrung, dass wenn Polizisten - Streifenbeamte ebenso wie Offiziere, aber auch der Polizeichef
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