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Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Ungehöriges.
     
    Der schöne Sommer war in einen milden, ruhigen Herbst übergegangen, aber die Sonnenstrahlen erreichten Antonias Seele nicht. Sie lebte, doch in ihrer eigenen Dunkelheit. Die Trauer umhüllte sie wie ein undurchdringlicher Nebel. Sie zog sich in sich selbst zurück und sprach wenig. David war Mitte September abgereist, und das Zusammenleben mit ihrer Mutter gestaltete sich hochkompliziert. Nach und nach war Elena von ihrem Nervenfieber zwar genesen und erschien stundenweise im Salon, um sich wieder ihren Stickereien zu widmen. Doch sie trug beständig eine leidende Miene zur Schau und sprach mit versagender Stimme. Sie war zu ihrer strikten Diät zurückgekehrt und duldete im Haus keinerlei Fleisch. Zum Glück betrat sie nur selten die Wirtschaftsräume, und so gelang es Antonia, etwas Wurst oder mal ein Hühnchen einzuschmuggeln. Aber bei Tisch wurden Gemüsesuppen und Eierspeisen, fleischlose Pasteten und Eintöpfe gereicht. Dazu trat Elenas Ordnungsdrang wieder exzessiv zu Tage. Nicht das kleinste Blatt, nicht ein Fädchen oder ein aufgeschlagenes Buch durfte herumliegen. Hatte sie früher die Bibliothek als das Reich ihres Gatten geachtet, so erstreckte sich jetzt ihre Ordnungswut auch auf diesen Raum, und da Antonia darin arbeitete, führte das beständig zu störenden Auseinandersetzungen. Charlottes häufige Besuche, die im Winter wieder begannen, gingen Antonia ebenfalls auf die Nerven. Oft brachte sie ihren Sohn mit, ein ungebärdiges Kind von gut einem Jahr, das zu unbeherrschten Wutausbrüchen neigte und dabei ein erstaunliches Stimmvolumen entwickelte. An diesen Tagen verließ Antonia meistens das Haus.
    Maddy sorgte sich um sie und vertraute sich Jakoba an.
    »So war sie anfangs auch, Maddy, als sie herkam. Da hatte sie gerade ihre Mutter verloren. Es ist ihre Art von Trauer. Sie weint nicht, sie hat keine Nervenkrisen, aber sie richtete Mauern um sich herum auf.«
    »Nein, Jakoba. Sie war anders, als sie bei Pitter Stammel lebte. Da war sie wenigstens reizbar und hat mit Marie gezankt. Jetzt ist sie sanft wie ein Lamm. Das ist so ungewöhnlich. Sie sitzt in der Bibliothek und übersetzt verbissen diese Texte, und dann wieder verschwindet sie stundenlang in ihren Jungenkleidern. Ich weiß nicht, wo sie hingeht, und sie gibt auch dem Herrn Cornelius nicht Bescheid. Ich glaube, es wäre ihm nicht recht, wenn er wüsste, dass sie draußen alleine herumstreift.«
    »Nein, das wäre ihm gewiss nicht recht. Wir werden es ihm sagen müssen.«
    Cornelius akzeptierte Antonias Wortkargheit, war es früher auch seine Methode gewesen, mit den Schicksalsschlägen fertig zu werden. Er wusste, nur Geduld und die Zeit konnten die Trauer heilen. Doch als Jakoba ihn auf ihre Alleingänge aufmerksam machte, suchte er das Gespräch mit seiner Schwester.
    »Toni, ich weiß, du brauchst Bewegung und frische Luft, aber es ist nicht schicklich, alleine durch die Stadt zu ziehen.«
    Zumindest zeitigte dieser milde Vorwurf eine Reaktion. Eine wütende.
    »Schicklich! Was schert mich Schicklichkeit! Ich bin zur Untätigkeit verdammt – ist das schicklich? Ich darf nicht mit Susanne im Laden arbeiten, weil wir in Trauer sind. Das wäre unschicklich, hat der Geschäftsführer behauptet. Ich darf keine Besuche machen, weil wir in Trauer sind, hat Madame befohlen. Das sei unschicklich. Ich darf nicht bei euch in der Druckerei mithelfen, das ist unschicklich, hat Thomas erklärt. Jetzt darf ich nicht einmal den Fuß vor die Tür setzen, weil das unschicklich ist. Mein Vater ist tot, und alle beharren darauf, das Leben ginge weiter. Mein Vater ist tot, begraben, unter einem schweren Grabstein verborgen, da wird ihn die Schicklichkeit nicht kümmern. Und wenn er eine Seele hat, die über uns wacht, dann wird sie sich nicht über Schicklichkeit aufregen.«
    »Gut, dann nenne ich es eben nicht unschicklich, sondern schlichtweg gefährlich, Toni. Du bist eine junge Frau, und in den Gassen lauern Gefahren.«
    »Auf den Schlachtfeldern und in den Heerlagern lauerten größere. Spiel dich nicht so auf, Cornelius. Ich gehe am Rheinufer entlang, nicht durch die Schmiergass oder den Entenpfuhl. Du kennst die Wege so gut wie ich.«
    »Du bleibst stundenlang fort, klärte man mich auf.«
    »Ach? Wer spioniert mir denn da nach? Jakoba? Johann?«
    »Das ist doch gleichgültig. Toni, die Tage werden kürzer, du bist sogar in den Abendstunden unterwegs. Ich möchte nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Ich habe schließlich die

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