Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Tagen, an Antonia vorübergeglitten. Erst als Cornelius ihre Hand nahm und sie zu dem Grab führte, wachte sie aus ihrer Lethargie auf und hörte seinen Schwur.
»Mein Vater, hier und zu dieser Stunde schwöre ich, dein Werk fortzusetzen. Dein größter Wunsch war, dass der Bau dieser Kathedrale, zu deren Füßen du nun schläfst, vollendet wird. Was in meiner Macht steht, werde ich tun. Du hast dein Vertrauen in einen großen Baumeister gesetzt, der die Welt ordnend geschaffen hat, von einem festen Fundament aufstrebend, gestützt von starken Pfeilern und von der Kreuzblume gekrönt. In deinem Sinne will ich wirken.«
David nahm ihre andere Hand, und auch er sprach: »Mein Vater, an deinem Grab schwöre ich, dass ich dein Werk fortsetzen werde. Die großen Baumeister der Vergangenheit, mein Vater, werden dich in ihre Reihen aufnehmen und ehren. Denn du hast ihre Arbeit gewürdigt, als alle Welt ihre Leistung zu vergessen drohte. Was in meiner Macht steht, werde ich tun, damit dein geliebter Dom vollendet wird.«
Antonia löste ihre Hände aus denen ihrer Brüder, trat einen Schritt vor und schwor: »Und ich, mein geliebter Vater, der Sie mir ein zweites Mal das Leben geschenkt haben, schwöre, dass ich nicht ruhen werde, meine Schuld wiedergutzumachen. Ich hielt das Werk der alten Baumeister in der Hand und verlor es wieder. Ich werde es wiederfinden. Ich schwöre, Vater!«
Antonias Gelöbnis verhallte unter den Bäumen, und das Schweigen der Trauernden schien grenzenlos zu sein. Zeit vertropfte, Zeit verging, nur das Wispern einiger Ästchen, die eine kleine Brise an den alten Mauern rieb, war zu hören.
Das Haus war still, die Spiegel verhängt, die Bilder umgedreht, die Vorhänge zugezogen. David und Cornelius saßen in der Bibliothek und unterhielten sich, als Antonia zu ihnen trat.
»Toni, du solltest doch ruhen.«
»Ich kann nicht ruhen, genauso wenig wie ihr. Gebt mir etwas zu trinken. Aus diesen Karaffen.«
»Aber nur ein Glas, Toni, es ist Cognac, und den bist du nicht gewöhnt.«
»Schon gut, ich weiß, wie Alkohol wirkt.«
Sie hatte den Schleier abgelegt, nicht aber das schwarze Kleid. Ihre Augen hatten tiefe Ringe, verweint waren sie nicht. Dankbar nippte sie an dem Glas, das David ihr reichte.
»Was werden wir tun?«, fragte sie.
»Weiterleben. Das ist unsere Aufgabe.«
»Ja, aber wie?« Es klang so trostlos, dass David ihr sacht die Schultern streichelte.
»Das ist die Frage, Liebes. Es wird irgendwie gehen müssen. Ich muss nach Dresden zurück. Es ist das Beste, was ich für ihn tun kann – Architekt und Baumeister werden und mit meinem Wissen zu seiner Vision beitragen.«
»Das ist ein gutes Ziel, David. Obwohl ich dich vermissen werde.«
»Ich dich auch, kleine Schwester!«
»Ich werde mich auf die Suche nach den Plänen machen«, erklärte Cornelius. »Ich werde in Paris beginnen. Denn was du von der Köhlerhütte erzählt hast, macht es unwahrscheinlich, dass wir diese Hälfte wiederfinden. Es müsste ein von den Göttern gesandter Zufall uns diesen Plan wieder in die Hände spielen. Dafür werde ich versuchen, mit all denen in Kontakt zu treten, die sich um den Weiterbau bemühen. Ich denke, wenn ich die Beileidsnoten durchgehe, dürfte ich eine erkleckliche Anzahl finden. Zudem – nun ja, ich bin Verleger. Mal sehen, was die Macht des Wortes bewirken kann.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Antonia flüsterte es mit trostloser Stimme und ließ den Kopf hängen.
»Du solltest dich um deine Mutter kümmern.«
»Du verlangst Unmögliches von mir.«
»Du bist ihr noch immer gram, weil sie dich beschuldigt hat?«, fragte Cornelius.
»Ja, und ich weiß, es geschah nur, weil sie außer sich war. Aber ich habe kein sehr herzliches Verhältnis zu ihr, und jetzt wird es wohl noch schlimmer. Ohne ihn.«
David, obwohl von Elena der bevorzugtere der beiden Brüder, verstand Antonia besser.
»Such dir eine Aufgabe, die dich ablenkt. Dann wird sich alles finden. Um Elena können sich derzeit Jakoba und Linda besser kümmern als du. Ich bleibe noch zwei Wochen länger hier, Cornelius. Glaubst du, bis dahin sind die Erbschaftsangelegenheiten einigermaßen abgewickelt?«
»Er hat ein sehr einfaches Testament gemacht. Aber ich fürchte, einen Punkt darin wird Toni nicht schätzen.«
»Nichts, was er geregelt hat, werde ich in Frage stellen.«
»Hoffentlich. Er hat mich nämlich zu deinem Vormund bestellt, bis du volljährig bist.«
Antonia entfuhr etwas sehr
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