Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Verantwortung für dich.« Cornelius hatte es ganz ruhig ausgesprochen, aber mit diesem Hinweis auf seine Vormundschaft brachte er einen Vulkan zum Ausbruch. In präzisen Worten klärte Antonia ihn auf, was sie davon hielt und endete fauchend: »Du bist so aufgeblasen wie ein frömmelnder Dorfpfaffe, der sich daran delektiert, eine Gemeinde halbtauber alter Jungfern mit seinem heiligen Salbader das Schaudern zu lehren. Deine Verantwortung kannst du dir in den Hintern schieben!«
Sie schob den Stuhl zurück, ließ das Essen stehen und rauschte in ihr Zimmer.
Am nächsten Tag besuchte sie den Dom und strich zwischen den Pfeilern des Chores umher. Sie ließ ihr Gedanken wandern und richtete ihren Blick auf den goldenen Schrein, in dem die Gebeine der Stadtheiligen ruhten. Ihn nahm sie indessen nicht wahr, sondern folgte den Bildern, die aus ihrem Inneren aufstiegen. Sie kamen ihr wie einzelne kleine Bruchstücke eines Ganzen vor, ungeordnet, aber sinnhaft. Langsam schlenderte sie aus der kühlen Kathedrale nach draußen. Dort, auf dem Friedhof, ließ der aufkommende Wind die ersten braunen Blätter von den Bäumen tanzen, und der Wein, der an einer Mauer emporrankte, schien in den schrägen Herbstsonnenstrahlen wie rotes Blut über die alten Steine zu rinnen. Sie wanderte zu Waldeggs Grab und blieb auch hier eine Weile in stummer Zwiesprache stehen.
Als die Glocken zu Abend läuteten, hatte sich das Bild geformt, und das Ziel lag vor ihr. Der Weg dahin war schwierig, aber das konnte nur eine Herausforderung sein.
»Ja, Vater, ich werde meinen Schwur halten. Ruhen Sie in Frieden, mein geliebter Vater«, flüsterte sie, dann ging sie nach Hause.
Reise in die Vergangenheit
Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und weben Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.
Frühlingsglaube, Uhland
Das Pferdchen trottete munter die Straße entlang, und Antonia atmete zufrieden die kühle Luft ein. Freiheit atmete sie ebenfalls mit ein. Leichtigkeit. Ihr war es, als hätte sie schwere Ketten abgelegt. Bequeme Stiefel, eine wildlederne Hose, Hemd, Wams, Rock und ein kecker, kleiner Dreispitz machten sie zu einem frischen Jüngling, obwohl einem kundigen Auge aus der Nähe ihr wahres Geschlecht auffallen würde. Neben ihr saß Maddy auf dem Kutschersitz und sang ein Liedchen höchst unsittlichen Inhalts. Auch sie machte einen beschwingten Eindruck. Sie hatte es abgelehnt, Hosen zu tragen, aber die derbe Kleidung akzeptiert, auf der Antonia bestanden hatte. Sie stellten sich, wenn es nötig war, als Geschwister vor und hielten sich weitgehend für sich.
Ihr erstes Ziel war Arnsberg. Anschließend wollten sie weiter nach Darmstadt ziehen. Danach würde man sehen …
Es war nicht schwer, die Reise zu organisieren. Antonia verfügte über eigenes Geld, teils ihre Ersparnisse aus früherer Zeit, teils gespartes Nadelgeld. Der Domherr hatte ihr reichliche monatliche Zuwendungen gegeben, die er, weil er von ihrem Geldverstand beeindruckt war, auf ein Bankkonto eingezahlt hatte, über das sie die Verfügungsgewalt hatte. Cornelius hielt es ebenso, und der Betrag, der darauf aufgelaufen war, summierte sich zu einem beachtlichen Wert. Er reichte, um einen kleinen Marketenderwagen und ein struppiges, gutmütiges Pferdchen zu kaufen. Der Wagen war nicht so groß wie der, den Elisabeth benutzt hatte, aber für ihre Zwecke ausreichend geräumig. Vier Fuß breit und fast acht Fuß lang war der Kasten mit den hohen Seitenteilen, davon bedeckte den hinteren Teil eine Plane über gewölbten Holzrippen. Auch der Kutschsitz besaß ein aufklappbares Verdeck, das sie gegen Regen und Sonne einigermaßen schützen würde. Notfalls konnten sie im Wagen schlafen. In zwei ledernen Reisetaschen führten sie ihre Habe mit, und daneben hatte Antonia für ausreichend Kochgeschirr, Vorräte und Handwerkszeug gesorgt.
»Wie die Zigeuner«, hatte Maddy gekichert.
»Richtig. Wir gehen unter die Fahrenden!«
Der Zeitpunkt der Abreise war ebenfalls günstig. Cornelius war kurz vor Ostern nach Paris aufgebrochen, er wäre der Einzige gewesen, der sie an ihrem Vorhaben hätte hindern können. Aber er wollte mindestens zwei, vermutlich sogar drei Monate fortbleiben. Danach würde es ihm schwerfallen, sie zu finden. Doch es tat Antonia leid, ihn auf diese Weise hintergangen zu haben. Er war ihr ein guter Freund gewesen in den
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