Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
ihm, die sie aber erfolgreich zu verbergen wusste. Nichtsdestotrotz hatte sie ihm oft nachgeschaut, wenn er das Haus verließ und mit seinem leichten Hinken über den weiten Platz des Neuen Marktes ging. Die Beinverletzung hatte er sich zugezogen, als er 1795 auf der Quiberon unter General Lazare Hoche gegen die Royalisten kämpfte, hatte sie erfahren. General Hoche war in Köln nicht unbekannt, dieser sehr junge, sehr erfolgreiche Offizier hatte 1797 die Verwaltung der linksrheinischen Provinzen übernommen. Major Renardet hatte ihn geschätzt, Susannes Onkel ihn zutiefst verabscheut, denn er hatte den Protestanten die Bürgerrechte zugesprochen. Aus diesem Grund war das Verhältnis zwischen den Hirzens und dem aufgezwungenen Quartiergast höchst kühl. Susanne hingegen befleißigte sich nicht der frostigen Höflichkeit, die die anderen Familienmitglieder an den Tag legten. Ihr gefiel der Offizier. Er war groß, auffällig groß, und seine krausen, dunklen Haare genau wie seine immer sonnengebräunte Haut ließ sie einen südländischen Einfluss vermuten. So hatte sie denn auch bald gesprächsweise herausgefunden, dass er aus der Gegend von Marseille stammte, dem Ort, nachdem die französische Nationalhymne benannt worden war. Bedauerlicherweise erfuhr sie im selben Gespräch auch, dass er verheiratet war und zwei Kinder hatte. Major Renardet war immer ausgesucht freundlich zu ihr, hielt aber strikt die gesellschaftlichen Regeln ein und vermied jedes Alleinsein mit ihr. Nie hatte er sich anmerken lassen, ob er ihre heimliche Schwärmerei bemerkt hatte. Lediglich ihre sprunghaft sich verbessernde Kenntnis der französischen Sprache hatte er gelobt.
Erst als Renardet erfahren hatte, dass er ein neues Kommando übernehmen sollte, hatte er einen Tag vor seiner Abreise das vertrauliche Gespräch mit Susanne gesucht. Sie hatte jedes Wort davon in ihrem Herzen bewahrt.
»Mademoiselle, ich werde morgen nach Mainz reiten, um eine neue Aufgabe zu übernehmen. Ich werde die Zeit hier in Köln als sehr angenehm in Erinnerung behalten.«
»Ich bedaure sehr, dass Sie gehen müssen. Hoffentlich wird es keine neuen Kämpfe geben.«
Er hatte ein schiefes Lächeln gezeigt.
»Hoffen können wir es, aber unser Kaiser ist nicht der Mann, der es lange untätig auf seinem Thron aushält.«
»Nein, vermutlich nicht. Passen Sie auf sich auf, Major.«
»Soweit es in meiner Macht steht. Und Sie, Mademoiselle, passen Sie auch auf sich auf. Lassen Sie sich zu nichts zwingen, das Ihren Frohsinn und Ihre erstaunliche künstlerische Gabe beeinträchtigt.«
Susanne hatte ihn überrascht angesehen. Offenbar hatte er weit mehr von dem bemerkt, was im Haus vor sich ging, als er je gezeigt hatte. Als ihr das bewusst wurde, errötete sie. Er nahm ihre Hand, küsste sie leicht und sah ihr in die Augen. »Sie sind eine schöne junge Frau, Mademoiselle, aber Sie sind einsam, nicht wahr? Es wäre gut, wenn Sie einige Freundinnen hätten.« Stumm nickte sie. »Sie besitzen ein großherziges Wesen, Susanne, und Ihre Freundlichkeit hat mich sehr glücklich gemacht.«
Susanne musste die Lider niederschlagen und biss sich auf die Lippen. Er hatte es gewusst – »Leben Sie wohl, Mademoiselle. Wenn die Zeiten und die Bedingungen andere gewesen wären...« – und erwidert.
Er hatte den Raum sehr schnell verlassen, und Susanne musste ihr Tüchlein an die feuchten Wangen drücken. Später hatte sie aus dem Gedächtnis sein Gesicht gezeichnet. Viele Seiten ihres Skizzenbuches füllte es bereits. Eines Skizzenbuches, das außer ihr niemand zu sehen bekam. Sie zog es jetzt aus der unteren Lade hervor, wo sie es unter Strümpfen und Hemden verborgen hatte, und blätterte es durch. Dabei stieß sie auf ein anderes Porträt, viel älter und von der Technik her sicher noch sehr unbeholfen. Aber erkennbar war es dennoch – das Antlitz, verwegen, übermütig. Aber seltsam zweigeteilt – auf der einen Seite das eines abgebrühten Zynikers, auf der anderen das eines lebenslustigen, aber auch nachdenklichen Mannes. Ein janusköpfiger Mann namens Cornelius von der Leyen, Kettensträfling, hatte Susanne, als sie kaum vierzehn war, tief beeindruckt und ihrem erwachenden Interesse an dem anderen Geschlecht die erste Nahrung gegeben. Manche Nacht hatte sie davon geträumt, ihn von seinen Fesseln zu lösen und wilde Abenteuer gemeinsam mit ihm zu bestehen.
Wieder seufzte Susanne. Abenteuer waren in ihrem Leben nicht vorgesehen. Sie verstaute das Skizzenbuch wieder und
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