Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
schmalen Flasche servieren.«
»Nicht?« Verständnislos sah der Offizier den vermeintlichen Burschen an, dann fiel sein Blick auf das Buch neben dem Karren, und er lachte auf. »Nun, ich bin weder ein Storch noch ein Fuchs. Colonel Sebastien Renardet, zu deinen Diensten, Toni!« Eine formvollendete Verbeugung begleitete diese Vorstellung. »Gefallen dir die Fabeln?«
»Wenn ich sie entziffert habe, ja. Sie sind sehr lehrreich.«
»Dazu wurden sie geschrieben.«
Renardet führte sein Reittier zu dem Baum, an dem schon das Pferdchen angebunden war, und setzte sich neben Toni in den Schatten. Dankbar trank er den Becher leer, den sie ihm reichte. Mit dem langen Messer aus ihrem Stiefel schnitt sie eine Scheibe Fleisch herunter und brach vom Brot ein Stück ab. Renardet beobachtete sie interessiert.
»Nicht gerade ein Küchenmesser«, stellte er trocken fest.
»Ach doch, gelegentlich. Es eignet sich gut, einen Hasen zu häuten.«
»Natürlich.«
»Das brachte mir meine Mutter bei. Aber wenn nötig, kann ich mich damit auch meiner Haut wehren. Das brachten mir meine Brüder bei.«
»Das dachte ich mir.« Er nahm Brot und Sülze von Toni an. »Du wirst keinen Grund finden, diese Fähigkeiten an mir auszuprobieren, Toni.«
Sie nickte und steckte das Messer wieder in die Scheide am Stiefel. »Schon lange unterwegs, mon Colonel?«
»Seit heute früh.«
»Sehr weit sind Sie nicht vom Weg abgekommen. Wenn Sie eine Weile hier rasten wollen, können wir Sie auf die richtige Straße zurückgeleiten.«
»Das wäre ausgezeichnet.«
Toni hatte ihr Misstrauen inzwischen abgelegt, denn sowohl die Manieren als auch das Aussehen des Offiziers hatten sie beruhigt. Seine braunen Augen schienen ihr aufrichtig und sein Lächeln herzlich. Seinem Blick auf die Ladung des Wagens folgend, erklärte sie: »Meine Mutter und ich führen einen Marktstand. Zweimal in der Woche holen wir Waren von den Bauern.«
»Ah, ich verstehe.«
»Nehmen Sie noch einen Apfel. Haben Sie ein Kommando in Gernsheim?«
»Nein, in Mainz. Ich bin, auf Umwegen, auf dem Weg dorthin. Bislang war ich in Köln stationiert.«
»Ach!« Tonis Augen blitzten auf. »Ich bin in Köln geboren, aber wir haben es leider schon früh verlassen müssen. Meine Mutter war Marketenderin, verstehen Sie.«
»Also vor zehn Jahren?«
»Mhm. Hat Ihnen die Stadt gefallen? Wie sieht es jetzt dort aus? Mama möchte immer Neuigkeiten hören.«
Renardet lächelte über die enthusiastisch geäußerten Fragen und erklärte: »Die Stadt ist noch immer schmutzig und dunkel. An vielen Stellen jedenfalls. Eure Bürger weigern sich hartnäckig, eine nächtliche Beleuchtung einzurichten, und ihren Müll werfen sie einfach auf die Gassen. Immerhin sind jetzt aber alle Häuser nummeriert, und man findet sich besser zurecht.«
»Wie lange waren Sie in Köln?«
»Oh, ich kam siebenundneunzig mit General Hoche dorthin und übernahm einige Aufgaben, als die Militärverwaltung durch die Munizipalverwaltung abgelöst wurde. Dann wurde ich wieder in das aktive Kampfgeschehen beordert und nahm an der Schlacht bei Marengo teil. Vor gut zwei Jahren kehrte ich abermals nach Köln zurück.«
»Wir waren bei Mannheim und Philippsburg dabei, und vergangenes Jahr marschierten wir nach Westfalen.«
Es breitete sich ein Hauch Mitleid in Renardets Gesicht aus. »Für deine jungen Jahre hast du schon viel mitgemacht, Toni. Das sollte nicht so sein.«
»Es ist aber so. Erst folgten wir meinem Vater, nun stehen meine älteren Brüder bei den Darmstädtern in Dienst.«
»Dein Vater lebt nicht mehr?«
»Philippsburg.« Toni schüttelte den Kopf, wie um anzudeuten, dass sie darüber keine weiteren Worte verlieren wollte und wechselte das Thema. »Sagen Sie, Colonel, sind die Heiligen Drei Könige eigentlich wohlbehalten in Köln eingetroffen? Damals in Arnsberg hörte ich, sie sollten zurückgeführt werden. Sie sind den Kölnern sehr wichtig.«
»Oh, natürlich sind sie wieder eingetroffen. Pünktlich im Pluviose, zu ihrem alten Feiertag, wurden sie in einer prächtigen Prozession in den Dom geleitet.«
»Wäre ich gerne dabei gewesen.«
»Ja, es war beeindruckend. Prozessionen und öffentliche Feste lieben die Kölner sehr, musste ich feststellen. Es gibt im Messidor wieder eine Schiffsprozession, und im Ventiose wird wieder Karneval gefeiert. Es war keine gute Entscheidung unserer Verwaltung, diese Feiern zu verbieten.«
»Das war es bestimmt nicht. Und es ist auch keine gute Entscheidung, so einen
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