Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
nicht mehr ganz so grau aus. David ließ sich ein Essen bringen, ein kaum genießbares Zeug aus undefinierbaren Resten, überwiegend aus Kartoffeln bestehend, aber wenigstens heiß. Er verschlang es hungrig, nahm sich Tee aus dem Samowar und machte sich dann daran, beim Schein einer flackernden Tranlampe den Tagesbericht zu schreiben. Er hatte gerade die ersten Zeilen beendet, als sich sein Gast bewegte und ein leises Stöhnen von sich gab.
David drehte sich um und fragte: »Monsieur?«
Der Mann schlug die Augen auf, hatte aber Mühe, seine Umgebung zu erkennen. Davids Französisch war in den letzten Monaten wieder fließender geworden, und so erklärte er: »Sie sind in Sicherheit, Monsieur. Ein preußischer Posten, wir lasen Sie von der Straße auf.«
»Danke!«
»Unser Knochenbrecher hat Ihnen Flüssigkeit verordnet. Ich werde Ihnen von diesem warmen Tee geben. Bemühen Sie sich nicht, und lassen Sie sich helfen.«
Trotzdem versuchte der Mann, die Tasse selbst zu halten, aber er sah bald ein, dass es ein unsinniges Unterfangen war. Also trank er durstig, was ihm David ziemlich ungeschickt an die Lippen hielt. Danach sank er wieder zurück auf das Polster.
»Capitain David von Hoven, preußisches Ingenieurcorps, zu Ihren Diensten.«
»General Sebastien Renardet, ohne Corps, ohne Befehl. Aber zu Ihren Diensten, Capitain, so ich dazu noch tauge.«
David starrte den General mit sprachloser Verblüffung an und wiederholte dann: »General Sebastien Renardet? Wirklich?«
»Guter Fang, nicht wahr, Capitain?.«
»General, Sie wissen nicht, wie gut. Aber noch sind wir – ähm – Verbündete. Doch selbst wenn wir Erzfeinde wären... General, glauben Sie an die Vorsehung?«
»Nein, Capitain. Ich glaube an nichts mehr.«
»Das dachte ich auch eine lange Zeit, aber gerade bin ich eines Besseren belehrt worden. Aber bevor ich Ihnen das erkläre, trinken Sie bitte noch etwas.«
Diesmal klappte die Zusammenarbeit besser, und dann holte David die Lampe an das Bett, damit sie einander im Lichtschein besser sehen konnten.
»Sie sind mir kein Fremder, General. Vor einiger Zeit bin ich nur knapp davongekommen, Ihr Gefangener zu werden. 1806, Olvenstedt bei Magdeburg. Mein Freund Nikolaus Dettering und ich wurden von einem garstigen Trossbuben unter Ihrem Kommando aufgestöbert und gefangen genommen. Ich habe mich sehr unehrenhaft verhalten, mein Offizierswort gebrochen und bin ihm mit einer List entwischt. Nikolaus aber war verwundet und wurde zu Ihnen gebracht.«
Renardet versuchte sich stöhnend aufzurichten.
»Bleiben Sie um Himmels willen liegen, General.«
»Sie? Sie sind der Freund des jungen Leutnants? Ist er auch hier?«
»Nein, er ist zur Kings German Legion nach England gegangen und steht jetzt in Spanien.«
»Und Toni? O Gott, wissen Sie eigentlich, dass sie gar kein Junge war?«
»Ich weiß es. Das ist der Grund, warum ich an die Vorsehung glaube.« Als David Renardet die wesentlichen Punkte von Antonias Heimkehr nach Köln, die Aufnahme in ihre neue Familie und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen darlegte, hörte Renardet mit wachsendem Staunen zu. »Und, General, weil Toni immer voller Achtung und sehr liebevoll von Ihnen gesprochen hat, und weil Sie ihr das Leben in den schweren Jahren ihrer Jugend erleichtert haben, werde ich jetzt alles daransetzen, Sie nach Köln zu ihr zu expedieren.«
Lange schwieg Sebastien Renardet, dann aber murmelte er: »Ich hätte nie gedacht, nie in den vergangenen dunklen Tagen, Capitain, dass es überhaupt noch so etwas wie Licht gibt. Auf dem Weg von Moskau zurück habe ich erfahren müssen, dass Menschlichkeit nur eine dünne Tünche über der Kreatur ist, die im Kampf um das Überleben sofort verschwindet.« Seine Stimme versagte, er drehte den Kopf zur Seite. Doch leise und heiser flüsterte er: »Capitain, Sie treiben mich zu Tränen.«
Zwei Tage später hatte der Chirurg den General für bedingt transportfähig erklärt. Jeder, der sich mit eigener Kraft bewegen konnte, wurde von ihm als gesund bezeichnet. David hatte in der Zwischenzeit eine Reisemöglichkeit organisiert. Heinrich, seinem Burschen, gab er die Order, den General auf dem schnellsten Weg nach Köln zu bringen, und stattete ihn mit ausreichend Geldmitteln aus.
»Wenn er nicht mehr reiten kann, miete eine Extrapost oder einen Wagen, Heinrich. Sieh zu, dass er gut zu essen bekommt und nachts ein warmes Bett. Hier sind die Karten, ich denke, er ist in der Lage, dir beim Lesen zu
Weitere Kostenlose Bücher