Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Renardet.«
»Großer Gott!«, entfuhr es Cornelius. »Tonis Colonel!«
»Gnädiger Herr, bitte, hier ist ein Schreiben von Ihrem Herrn Bruder, das alles erklärt.«
»Gleich, Heinrich. Der Name erklärt mir vieles.«
Thomas und er hatten Mühe, den bewusstlosen Mann aus dem Coupé zu heben, aber dann trugen sie ihn vorsichtig die Stiegen hinauf und legten ihn auf das gerichtete Bett. Elena und Heinrich folgten ihnen.
»Wo ist er verletzt? Ich sehe keine Verbände?«
»Ein Projektil in der rechten Seite, und ich fürchte, den Frostbrand in den Füßen. Er ist bis vor vier Tagen geritten, aber dann wurde er ohnmächtig, und ich musste den Wagen mieten.«
»Mein Gott, wie lange sind Sie unterwegs gewesen?«
»Sechzehn Tage, gnädige Frau. Wir brachen am achtundzwanzigsten Dezember auf.«
»Der arme Mann! Sie müssen auch am Ende Ihrer Kräfte sein.«
»Nur ein wenig erschöpft.«
»Gehen Sie in die Küche, Nora wird sich um Sie kümmern.«
»Wenn Sie gestatten, würde ich mich lieber erst um den General kümmern. Ausziehen, wissen Sie, und so weiter. Ich bin es gewohnt.«
»Na gut, tun Sie das. Hat er Gepäck?«
»Ich hole es«, bot Cornelius an und ging nach unten. Als er mit der Reisetasche zurückkam, begleitete der Arzt ihn.
»Doktor Schmitz, gut, dass Sie so schnell kommen konnten.«
»Ein Notfall?«
»Ein Offizier, er kommt aus Russland.« Elena wies auf das Bett, und der Arzt gab ein mitleidiges Brummen von sich.
Renardet stöhnte ein paar Mal, als sie ihn von seinen Kleidern und Stiefeln befreiten, und Doktor Schmitz bekam eine bedenkliche Miene, als er die Füße seines Patienten betrachtete, wo sich die schwärzliche Verfärbung des Frostbrands zeigte. Er drückte einige Male an den geschwollenen Zehen herum und murmelte dann: »Eile tut not. Würden Sie mir assistieren, Herr Waldegg? Auch Sie, Heinrich? Ich werde schneiden müssen. Drei Zehen sind nicht mehr zu retten.«
»Was sollen wir tun?«
»Den Patienten still halten. Noch ist er bewusstlos, aber es wird eine schmerzhafte Prozedur. Ich hoffe, es gelingt mir, ihm eine Dosis Laudanum einzugeben.«
Nach über einer Stunde lehnte sich Cornelius schweißüberströmt an das Fenster, während Doktor Schmitz seine Utensilien zusammenpackte. Thomas hatte das Zimmer schon vor geraumer Zeit würgend verlassen, und Heinrich musste sich über die Waschschüssel beugen. Cornelius selbst hatte es irgendwie durchgestanden, aber sein Magen befand sich weiter in Aufruhr.
»Wie halten Sie das nur aus, Doktor?«
»Man tut, was man muss. Wenn Sie die Wunde ruhig und sauber halten, wird er wahrscheinlich gerettet, und der Verlust von drei Zehen will mir in Anbetracht der Geschehnisse in Russland ein geringes Opfer sein. Mehr zu denken gibt mir dieses Metallstück zwischen seinen Rippen. Aber das kann ich in seinem jetzigen Zustand unmöglich entfernen. Die oberflächliche Wunde ist verheilt, aber er wird ständig Schmerzen haben. Hoffen wir, es fängt nicht an zu wandern und verletzt ein inneres Organ.« Der Arzt schüttelte betrübt den Kopf. »Ihre Vorhersage über den Ausgang des Russlandfeldzugs in der Logensitzung bewahrheitet sich auf geradezu erschreckende Weise.«
Es stellte sich als harte Arbeit heraus, den General zu pflegen. Er lag zwei Tage in tiefer Bewusstlosigkeit, danach dämmerte er gelegentlich vor sich hin. Manchmal stöhnte er vor Schmerzen, dann gaben sie ihm das Betäubungsmittel. Nachts aber wurde er von entsetzlichen Mahren heimgesucht, und mehr als einmal machte er Anstalten, aufzuspringen und zu fliehen. Heinrich schlief auf einem Behelfsbett im selben Zimmer, während Antonia und Maddy sich die Wache teilten. Wenn der Patient wieder unruhig wurde, hatte der Bursche alle Kraft nötig, ihn zu halten. Nach der dritten, äußerst lebhaften Nacht fand Antonia indessen heraus, dass ihn ihre Stimme weit mehr beruhigte als Heinrichs Körperkräfte. Also begann sie, immer wenn Renardet sich heftig auf seinem Lager bewegte, sanft auf ihn einzureden. Alles Erdenkliche erzählte sie ihm, und oft, wenn er dann stiller wurde, legte sie ihm ihre Hand an die Wange.
In der sechsten Nacht war sie so übermüdet, dass die Erinnerungen aus der Vergangenheit mit Macht zu ihr zurückkamen. Sie sah sich selbst als kleinen Burschen dem verirrten jungen Colonel an einem heißen Sommertag bei Pfungstadt Apfelmost und Brot anbieten, dachte an die langen Marschtage Richtung Thüringen, an denen er oft abends am Marketenderzelt vorbeigeschaut
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