Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
eigentlich zu den Pionieren gehörte. Aber Pionierarbeit war derzeit nicht erforderlich, darum hatte er sich dazu gemeldet, diese Art von Aufklärungsarbeit zu betreiben. Außerdem hoffte er, unter den Versprengten die Kameraden vom preußischen Husarenregiment anzutreffen, die den Weg nach Moskau angetreten hatten, aber bisher war von diesen Männern noch keiner wieder aufgetaucht. Er selbst hatte den Feldzug verhältnismäßig unbeschadet überstanden. Sein Verband unter General Yorck war mit dem Zehnten Corps, geführt von Marschall MacDonald, nach Riga gezogen, um die linke Flanke der Großen Armee zu decken. Es hatte nur wenige Gefechte gegeben, Riga war belagert worden, aber die Nachrichtenübermittlung war so schlecht gewesen, dass MacDonald weiterhin vor der Stadt verharrte, als die Russen bereits seine Rückzugslinie über Tilsit bedrohten. Sie hatten einen eiligen Rückzug angetreten, und inzwischen saßen Yorck und einige Offiziere der russischen Armee in Tauroggen und verhandelten. David wusste nicht, über was genau, aber die Vermutung lag nahe, dass man über einen von König Friedrich Wilhelm dem Dritten nicht autorisierten Waffenstillstand sprach, denn unter den Russen waren viele ehemalige preußische Offiziere.
Ein leichter Schneefall hatte eingesetzt, und David wischte sich einige Flocken aus dem Gesicht. Die Landschaft wirkte konturenlos, es war beinahe unheimlich still. Doch dann bemerkte er den dunklen Fleck, der sich langsam auf ihn zubewegte. Er wies seine Begleiter darauf hin und setzte sein Pferd in Bewegung.
Es war ein Reiter, dick vermummt, auf einem klapprigen Gaul. Er war gut hundert Schritt von ihm entfernt, da brach das Tier zusammen, der Mann stürzte zur Seite und blieb reglos liegen.
David hielt auf ihn zu, zügelte sein Pferd und sprang ab. Vorsichtig hob er den Oberkörper des Gestürzten an und betrachtete ihn. Sein bartstoppeliges, ausgemergeltes Gesicht verriet nur die Entbehrungen, erst als er die Decke, die er um sich geschlungen hatte, auseinanderzog, erkannte er die französische Uniform. Die Tressen bedeuteten ihm, dass es sich um einen Offizier handeln musste.
»Er lebt noch. Hebt ihn auf das Packpferd. Und nehmt die Satteltaschen mit. Der Gaul ist nicht mehr zu retten.«
»Nein, Herr Capitain. Soll ich ihn erlösen?«
»Tu das, Heinrich.«
Der einzelne Schuss verhallte traurig über dem Schnee, dem erschöpften Offizier flatterten einmal leicht die Lider, dann versank er wieder in Bewusstlosigkeit.
David hatte ein, an den Verhältnissen gemessen, beinahe komfortables Quartier in einem Blockhaus am Rand von Treuenburg, und hierhin brachte er den Mann. Das Lazarett wollte er ihm nicht zumuten, denn dort herrschte das Fleckfieber, aber er ließ den Chirurgen benachrichtigen. In der Zwischenzeit richteten sie ihm ein Feldbett in der Nähe des offenen Kamins.
»Das Übliche, Capitain. Erschöpfung, Unterernährung, Erfrierungen an den Füßen, dazu ein Steckschuss unterhalb des zweiten Rippenbogens«, konstatierte der Arzt später, als er ihn untersucht hatte. »Ich kann nicht viel tun, wenn ich ihn operiere, stirbt er mir unter der Hand. Kann er hierbleiben? Im Lazarett sind wir überbelegt, und mit etwas Ruhe und ausreichend Essen könnte er es schaffen.«
»Es wird irgendwie gehen.« David zuckte mit den Schultern. Er hatte sein Herz zwar auch gegen das Grauen verschließen müssen, das ihm tagtäglich begegnete, aber ganz ohne Mitleid war er nicht.
»Ich sehe, sowie ich Zeit habe, noch mal nach ihm. Versuchen Sie, ihm Brühe oder süßen Tee einzuflößen, er braucht Flüssigkeit am meisten. Den Rest wird die Natur erledigen. So oder so. Auf gar keinen Fall, aber, Capitain, sprechen Sie das Wort ›Kosaken‹ in seiner Gegenwart aus. Ich habe schon Sterbende erlebt, die von ihren Lagern aufsprangen und in heller Panik zu fliehen versuchten.«
»Ich weiß. Sie haben ein Schreckensregiment geführt. Es muss ein Terror ohnegleichen gewesen sein.«
Der Chirurg nickte. »Es gibt keine Worte mehr für das, was diese Männer erlitten haben. Noch weniger für das, was jene erlitten, die wir nie wiedersehen werden.«
David gab Heinrich den Befehl, sich um den Franzosen zu kümmern, dann machte er sich auf den zweiten Ausritt an diesem Tag und sammelte mit seinen Leuten drei versprengte Bayern ein, die er kurz befragte und dann ins Lazarett schickte. Als er in seine Unterkunft zurückkam, hatte der Franzose sich nicht gerührt, schien aber tief zu schlafen und sah
Weitere Kostenlose Bücher