Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Zierrat?«
»Nein, das hilft nicht. Es ist in mir drin und lässt sich mit äußerem Putz nicht überschminken. Ich bin nur eine Dreiviertelfrau.« Sie sah ihm in die Augen und merkte, dass er verstand. Und verwirrt war.
»Macht man es Ihnen zum Vorwurf?«
»Nein. Zumindest nicht meine Freunde.«
»Sie sind sehr weiblich, Mademoiselle, das können Sie mir glauben. Ich war einst ein Narr, es nicht früher erkannt zu haben. Ich hätte Ihnen manches leichter machen können.«
»Sie haben es doch erkannt.«
»Als Dettering mich darauf aufmerksam machte.«
»Nein, schon vorher.« Er wandte den Blick ab. »General?«
»Ich habe mich dessen sehr geschämt, Mademoiselle. Ich fürchtete...«
»Einen Junge zu begehren?«
»Ja.«
»Fürchten Sie auch, eine Dreiviertelfrau zu begehren?«
»Mademoiselle, es ist jetzt alles anders.«
»Ist es das?« Wieder sah sie ihm in die Augen, und er hielt ihrem Blick stand. Es lag Verlangen darin. Er konnte es nicht unterdrücken. Er hatte, seit David ihm von ihr erzählte, an sie gedacht.
Antonia machte einen kleinen Schritt auf ihn zu und legte ihm ihre Rechte an die Schulter.
»Sie haben meinem Bruder nicht Ihr Ehrenwort gegeben, lebend zu mir zu kommen, nur weil Sie mit mir höflich Konversation zu machen wünschten.«
Er sah über sie hinaus aus dem Fenster. »Ich war nicht Herr meiner Sinne.«
»Sie waren genug Herr Ihrer Sinne, ihm einen ausführlichen Bericht über die russischen Zustände zu liefern, General. Sie hätten sicher auch dort Unterkunft und Pflege erhalten. Warum haben Sie eingewilligt, die lange, beschwerliche Reise auf sich zu nehmen, um zu mir gekommen?«
»Mademoiselle...«
»Als ich noch Toni war, mon Colonel, haben wir viele Abenteuer und Gefahren miteinander geteilt.«
Er senkte den Kopf und schaute dann wieder zu ihr hin. »Ja, das haben wir, Toni.«
»Haben Sie inzwischen Angst vor Gefahr und Abenteuer?«
»Vor diesem schon.«
»Warum?«
Er hätte es ihr erklären können. Mit sehr einfachen Worten. Aber er tat es nicht. Stattdessen legte er seinen Arm um sie und zog sie an sich. Leicht berührten seine Lippen die ihren. Als er sie löste, hielt sie ihre Augen geschlossen und ihr Gesicht weiter zu ihm hochgewandt.
»Toni!«, flüsterte er verzweifelt, »Toni!«
Dann küsste er sie nochmals, viel weniger zart, und ihre Hand legte sich um seinen Nacken. Ihr Körper schmiegte sich an den seinen, er spürte ihr feines Zittern. Damit vergaß er alle Vorsätze, alle Zurückhaltung, sogar die beständigen Schmerzen in seiner Seite. Er hielt sie fest und suchte ihren Mund, während seine Finger sich in ihre Haare wühlten. Dann löste er sich von ihr, und sein Atem ging heftig. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, aber das Zittern war nur noch heftiger geworden.
»Hast du Angst?«, fragte er leise.
»Nein – ja, vor der eigenen Courage. Aber, mon Colonel, Sie werden mir helfen, nicht wahr? Sie sind der Einzige, von dem ich diese Hilfe annehmen kann.«
»Bin ich das? Du tust mir große Ehre an, Toni.«
Es polterte an der Tür, und eine grauhaarige, knochige Frau trat in das Zimmer. Voller Empörung fuhr sie den General an, der, wie es schien, einen schlanken Jungen im Arm hielt und koste.
»General Renardet, was unterstehen Sie sich! Lassen Sie sofort diesen Burschen los!«
Antonia löste sich aus der Umarmung, zwar noch ein wenig schwankend, aber wieder gefasst.
»Der Drache, General?«
»In seiner feurigsten Form.«
Mit ausgestreckten Händen ging sie auf die aufgebrachte Frau zu und lächelte sie strahlend an. »Sie müssen Frau Liese sein, die Haushälterin. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Mein Bruder hat mir von ihrer gewissenhaften Art berichtet, wie Sie sich um unseren Gast kümmern.«
Das strenge Gesicht wurde milder, als die Haushälterin gewahr wurde, dass der Besucher weiblichen Geschlechts war und vermutlich in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Eigentümer des Hauses stand. Aber ihr Misstrauen war noch nicht verflogen.
»Ihr Bruder, Fräulein?«
»Cornelius Waldegg, Ihr Arbeitgeber, nicht wahr? Ich bin Antonia Helena Lindenborn-Waldegg und habe lange Zeit unter General Renardet gedient. Wir sind alte Kameraden.«
Zweifel, Unsicherheit und Verärgerung kämpften in dem strengen Gesicht.
»Ich weiß, es hört sich ungewöhnlich an, aber es war wirklich so«, versicherte ihr Antonia, weiter lächelnd. »Darum freue ich mich, dass Sie ihn unter Ihre Fittiche genommen haben. Sie mögen ihn nämlich, den
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