Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Antonia und Sebastien, obwohl die Welt um sie herum in Trümmer zu versinken drohte, ein seltsam bittersüßer Liebesfrühling.
Spielereien mit Erlkönigs Töchtern
Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir.
Der Erlkönig, Goethe
Lydia war eine schmale, sehr weißhäutige Schönheit mit blauschwarzem, prachtvollem Haar und kühlen, grauen Augen. Augen, die unfehlbar einen Gewinner erkannten. An diesem Abend fiel ihr Blick auf einen der Stammgäste, einen stattlichen, sehr gepflegten Herrn in einem meisterlich geschneiderten Frack und blütenweißer Halsbinde. Bisher hatte sie noch nicht mit ihm gesprochen, doch sie wusste eine ganze Menge über ihn. Seit zwei Jahren etwa erschien er regelmäßig ein-, zweimal im Monat. In der letzten Zeit aber wurde er häufiger in den eleganten Räumen in der Gertrudenstraße angetroffen.
Der Gastgeber, über dessen Identität niemand sprach und wenn man ihn schon erwähnte, lediglich als den Erlkönig bezeichnete, hatte sie und die drei anderen Damen engagiert, um vorsichtig, sehr vorsichtig Erkundigungen über seine Besucher einzuholen. Er war ein besonnener Mann und ging kein Risiko ein. Jener Herr, auf dem ihr Augenmerk nun lag, war ein Armeelieferant, vor allem Uniformen verkaufte er dem französischen Heer. Ein krisenfestes Unternehmen, sollte man bei den derzeitigen Verhältnissen annehmen. Nach der Niederlage in Russland hatte der Kaiser es geschafft, eine zweite, fast ebenso große Armee auszuheben, die selbstverständlich eingekleidet werden musste. Ständige kleinere Kämpfe im Westen sorgten ebenfalls dafür, dass Nachschub an Bekleidung benötigt wurde. Ein Grund, warum der Herr es sich leisten konnte, mit hohen Einsätzen zu spielen. Was er auch tat, und weswegen er auch sehr willkommen in dem illustren Kreis war.
Kay Friedrich Kormann nahm gelassen die Schuldverschreibung seines Gegenübers entgegen und erhob sich vom Kartentisch, um sich im Nebenraum eine Erfrischung zu holen. Die elegante Villa war der Treffpunkt vieler vermögender Spieler und so etwas wie ein privater Club, zu dem nur ausgewählte Mitglieder Zugang hatten. In drei Räumen wurde dem Glücksspiel gefrönt, ein weiterer war mit kleinen Tischchen und einem erlesenen Buffet ausgestattet. Große Kristalllüster verbreiteten helles Licht, eine schummerige Atmosphäre war bei den Spielern nicht erwünscht, die Getränke wurden von stummen, gut ausgebildeten Lakaien an die Tische gebracht. Müßig beobachtete er die vier exquisit gekleideten Damen, die in den Spielpausen durch die Räume schlenderten und hier und da ein Wort mit den Anwesenden wechselten. Sofern es gewünscht wurde, waren sie, gegen ein entsprechendes Honorar selbstverständlich, gerne gewillt, mit dem einen oder anderen die schön geschwungene Treppe nach oben zu gehen, wo sich einige heimelige Separees befanden.
Er erwog ein solches kleines Intermezzo. An diesem Abend hatte er ein keines Vermögen gewonnen, ein sehr nützliches und sehr dringend benötigtes Vermögen.
Lydia hatte feine Sinne dafür entwickelt, wer geneigt war, ihre nähere Bekanntschaft zu machen und sich ihrer kunstreichen Unterhaltung anzuvertrauen. Kormann hatte viel gewonnen, sehr viel, mehr, als an jedem Abend zuvor. Obwohl er eine unbeteiligte Miene zur Schau trug, bemerkte sie, wie sehr ihn diese Tatsache befriedigte. Er rechnete es sich als persönlichen Erfolg an, obwohl eigentlich die Dame Fortuna beim Hasardspiel regierte. Ein Spieler mit Leib und Seele, das war ihre Einschätzung. Und einer, der durchaus willens war, einen Teil seines Gewinns bei ihr zu lassen – für besondere Dienste. Außerdem hatte er den Ruf, sehr feinfühlig politische Windrichtungen zu erahnen, und sie hatte die Absicht, ihm einige nützliche Informationen zu entlocken. Mit einem Glas Champagner in der Hand trat sie einladend lächelnd auf ihn zu.
Kay Friedrich Kormann spielte an diesem Abend nicht mehr an den Tischen – er spielte andere, beinahe ebenso aufregende Spiele in einem der oberen Räume. Lydia erwies sich als eine erfinderische Partnerin, die seine Sinne mit erstaunlicher Raffinesse zu reizen verstand. Charlotte war früher eine einfallsreiche Geliebte gewesen, doch seiner jetzigen Gespielin konnte sie nicht das Wasser reichen. Er war der immer üppiger werdenden Fülle seiner Gemahlin allmählich überdrüssig geworden, diese schlanke, biegsame Hexe wusste geheimste Wünsche zu erfüllen, und sie war in keiner
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