Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Sankt Pantaleon zurückzog, bald darauf in das Intrigenspiel Ludwig des Vierzehnten gegen die Niederlande. Ohne seine Unterstützung aber blieb das Gebäude weiterhin unvollendet, und der Zahn der Zeit benagte die Fialen, Krabben und Wasserspeier.
Eingewöhnung
Willst du, dass wir mit hinein
In das Haus dich bauen,
lass es dir gefallen, Stein,
dass wir dich behauen.
Vierzeilen, Rückert
Antonia mochte halsstarrig und ungehobelt sein, auch verstört und trotzig – dumm war sie gewiss nicht. Das Leben in Waldeggs Haushalt hatte Vorteile. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein so großes, gemütliches Zimmer alleine bewohnt, noch nie in einem solch weichen Bett geschlafen, einen derartigen Luxus genossen wie ein Badezimmer, geschweige denn hatte sich bisher jemand um ihre Wäsche und Mahlzeiten gekümmert. Daher machte sie ohne Murren Zugeständnisse und tauschte die Jungenkleidung gegen Röcke. Nicht die Art der eleganten Kleider, wie sie die Dame des Hauses bevorzugte, sondern einfache, wie sie sie in Darmstadt getragen hatte. Sie hielt sich ohnehin zumeist in der Küche auf, wo sich Jakoba ihrer annahm. Die alte Köchin war es auch, die sich darum kümmerte, das Mädchen ständig beschäftigt zu halten. Sie ließ sie Gemüse putzen und Fische ausnehmen, Kartoffeln schälen und Sahne schlagen. Nachdem sie einige Male gemeinsam über den Markt gegangen waren, drückte sie ihr immer häufiger den großen Korb in die Hand und schickte sie zum Einkaufen. Das waren vertraute Tätigkeiten, die Antonia mit Geschick erledigte. Feilschen hatte sie schon früh gelernt, auch das Beurteilen der Qualität der Lebensmittel war ihr von Kindesbeinen an vertraut. Aber sie lernte noch dazu. Nicht die schlichte Kost, die ihre Ziehmutter zu kochen gewöhnt war, wurde in Jakobas Küche zubereitet, sondern die feinen Speisen, die die Waldeggs üblicherweise zu sich nahmen, insbesondere die fleischlosen Gerichte, auf denen Elena bestand.
»Warum isst Madame kein Fleisch?«, traute sich Antonia eine Woche nach ihrem Einzug in das Waldeg’gsche Heim endlich zu fragen. Jakoba unterbrach das Teigkneten und antwortete: »Sie hat vor langer Zeit ein Gelübde abgelegt, Fräulein Antonia. Das muss man respektieren.«
»Ich dachte, die Gelübde sind alle aufgehoben? Sie ist doch keine Nonne mehr.«
»Die Ordensgelübde sind aufgehoben, aber jeder Mensch darf natürlich seine Versprechen gegen Gott machen.«
»Und was bekommt sie dafür?«
»Ihren Seelenfrieden, nehme ich mal an.«
Antonias Verständnis von Religion und Glauben war auf sehr ursprünglichem Boden gewachsen und in seiner Art als heidnisch zu betrachten. Die Messe besuchte sie selten, die heilige Ursula, die Elisabeth so innig verehrt hatte, war auch ihre Ansprechpartnerin. Manchmal, sozusagen bei gehobeneren Anliegen, wandte sie sich an die Muttergottes, und wenn es um substanzielle Fragen ging, dann betete sie ehrfurchtsvoll zu jenem fernen Gott, für den die Menschen die Kirchen und Kathedralen errichtet hatten. Ihn bat sie allerdings um nichts, er schien ihr zu weit entfernt, als dass er sich um das Schicksal eines einzelnen Erdenwürmchens wie sie kümmern würde. Das Prinzip des Gelübdes war ihr daher fremd, aber sie akzeptierte es, denn vermutlich wussten Nonnen und Domherren weit mehr über das Wesen Gottes als sie. Darum half sie Jakoba, die delikaten Eierspeisen herzustellen, die Elena bevorzugte, die Gemüsepürees und Reisgerichte, die ihr aufs Zimmer gebracht wurden, und das feine Käsegebäck, das ihren Appetit reizen sollte. Die Dame des Hauses kränkelte nämlich seit dem Tag von Antonias Ankunft und hatte ihre Räume nicht wieder verlassen.
Hermann Waldegg hingegen tauchte oft in der Küche auf und erkundigte sich nach ihrem Wohlergehen. Er war gleichbleibend freundlich zu ihr, fragte wenig, sondern erzählte ihr und Jakoba allerlei Neuigkeiten aus der Stadt. Es hatte ein neuer Kurzwarenladen in der Schildergasse aufgemacht, beispielsweise. Und im Caféhaus Müller hatte sich der Herausgeber der Kölnischen Zeitung mit einem Buchhändler lauthals eine Szene geliefert, im Comödienhaus sollte ein neues Stück aufgenommen werden, und der Verkauf der Häuser im Besitz des Magistrats war von den Pariser Behörden endlich genehmigt worden, weshalb das neue Heim für bedürftige Mütter nun bald bezugsfertig gemacht werden konnte.
Antonia saugte das alles gierig auf. In ihrem bisherigen Leben war nichts wichtiger gewesen, als sich möglichst
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