Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
vor Zorn. Sie musste sich tatsächlich einige unangenehme Wahrheiten anhören. Mit tränenüberströmtem Gesicht zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück und kämpfte mit der herannahenden Migräne.
Hermann Waldegg hingegen las noch einmal den zerknitterten Brief Wort für Wort. Dann saß er lange bewegungslos da und beobachtete das allmählich herunterbrennende Feuer im Kamin. Erst gegen Mitternacht erhob er sich und stieg die Treppe hinauf. Anstatt in das eheliche Schlafzimmer zu treten, öffnete er leise die Tür zu Antonias Zimmer. Sie lag auf dem Rücken, die weiche Bettdecke ordentlich bis zum Kinn heraufgezogen, die Hände mit den rissigen Fingernägeln auf der Brust gefaltet. Das Gold in ihren Haaren schimmerte im flackernden Nachtlicht, und ihr Atem ging ruhig. Im Schlaf wirkte ihr Gesicht jünger, doch nicht mehr kindlich. Viel zu deutlich zeichneten sich die feinen Knochen unter der reinen Haut ab. Die Trauer war weggewischt, die Achtsamkeit verflogen. Verletzlich sah sie aus und erschreckend mager.
»Ich bin meinen Söhnen ein schlechter Vater gewesen, Antonia«, flüsterte Hermann Waldegg tonlos. »David habe ich gehen lassen, als er neun war. Nun weiß ich nicht einmal, ob er noch lebt. Ich hätte für ihn da sein müssen, als seine Schwierigkeiten begannen. Und zu Cornelius habe ich mich nicht bekannt, um seiner Familie willen. Auch von ihm hätte ich das Unheil fernhalten können, wäre ich nicht so indolent und verantwortungslos gewesen. Für dich, Antonia, das verspreche ich, werde ich da sein.«
Gerne hätte er ihr über die Haare gestrichen, aber er wollte sie nicht erschrecken, darum zog er sich leise zurück und schloss die Tür hinter sich.
ZWEITER TEIL
Die Tochter des Hauses 1807 – 1808
Vor jedem steht ein Bild des, was er werden soll.
Rückert
Der Crombach-Plan
Der hohe Dom zu Köln!
Ein Denkmal alter Zeit,
Der deutschen Herrlichkeit,
In Alter längst ergraut
Und noch nicht ausgebaut.
Der hohe Dom zu Köln!
Der Dom zu Köln, Rückert
1645, in einer Druckerei zu Köln: Der Kupferstecher spannte die sorgfältig gravierte Platte in die Presse und legte das angefeuchtete Papier für den Druck zurecht. Neben ihm stand, in seiner nüchternen Priesterkleidung, der Jesuit Hermann Crombach und verfolgte den Vorgang mit Spannung.
»Ihr meint, der Erzbischof wird sich damit überzeugen lassen, den Bau des Domes voranzutreiben?«
»Er hat es mir zugesagt und erlaubt, es in meinem Buch über die Heiligen Drei Könige öffentlich bekannt zu machen.«
Der Kupferstecher, ein Meister seines Faches, betrachtete nun den fertigen Druck. Die Zwillingstürme der Kathedrale waren darauf in haarfeinsten Linien dargestellt, und sein Auftraggeber nickte zufrieden. »Erstaunlich, Meister. Ihr habt das Wunder vollbracht, aus dem unhandlich großen Pergament ein anschauliches Bild abzuleiten, das nicht nur die erhabene Größe, sondern auch die ausgewogenen Proportionen und das zierliche Maßwerk darstellt.«
»Nun, es ist nicht möglich gewesen, alle Details originalgetreu darzustellen. Aber es wird wohl nicht dem Baumeister zur Vorlage dienen. Dafür gibt es ja noch andere Pläne.«
»Ganz richtig. Es soll jenen, die nicht die rechte Vorstellung von dem fertigen Bau haben, seine Majestät und Vollkommenheit vor Augen führen.«
»Und ihnen die Börsen öffnen«, grinste der Kupferstecher.
Der ernste Jesuit sah in tadelnd an, aber er wusste, dass die Geldquellen versiegt waren, seit Luther das Fegefeuer abgeschafft hatte und der lukrative Verkauf von Ablässen die Domfabrik nicht mehr finanzierte. Er war ein kluger Mann, der Hermann Crombach, und er, wie seine gesamte Bruderschaft, hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die schädlichen Einflüsse der Reformation einzudämmen. In Köln, so schien ihm, könnte die Fertigstellung der Kathedrale dahingehend ein Zeichen setzen. Und mit diesem Argument Börsen öffnen. Kurfürst und Erzbischof Maximilian Heinrich hatte sich dieser Meinung gegenüber aufgeschlossen gezeigt. Deshalb überredete Crombach das Domkapitel, dem Kupferstecher die Originalpläne aus der Dombauhütte zur Verfügung zu stellen. Nun gab es also einen Grundriss des Gebäudes und, was noch viel spektakulärer war, den Fassadenriss der Westseite mit ihren beiden Türmen.
Die Absicht war gut und sicherlich auch richtig. Aber leider verstrickte sich der Erzbischof, der kein sehr umgänglicher Mann war und sich lieber zu seinen Bußübungen ins Kloster von
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