Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
verwehren, sie in die meinen zu schließen.«
»Auch da bin ich mir nicht sicher. Sei vorsichtig, Elena, und halte zunächst Distanz, bis sie sich eingewöhnt hat. Ich habe Davids Zimmer für sie richten lassen und ihr einige Kleider aus Cornelius’ Jungenzeit herauslegen lassen.«
»Jungenkleider? Aber Hermann! Sie ist ein Mädchen! Ich werde sofort meine eigenen Schränke auf passende Gewänder durchsehen.«
»Elena, ich mache dich noch einmal darauf aufmerksam. Sie hat ein hartes Leben geführt. Sie ist als Junge im Tross der Heere aufgewachsen. Gib ihr Zeit, sich umzugewöhnen.«
Doch Elena ließ sich nicht von ihrer langjährigen Vorstellung abbringen, die sie von dem Kind hatte, das sie nur für eine Weile in ihren Armen hatte halten können. Die kurz darauf erfolgende Begegnung mit ihrer Tochter bereinigte das mütterlich verklärte Bild jedoch schnell und gründlich.
Antonia, ihren Tornister auf dem Rücken und eine unförmige Tasche in der Hand, stand gegen sechs Uhr wieder vor der Tür. Johann führte sie auf Elenas Weisung sofort in den Salon. So stand sie also, gebeugt unter der Last auf ihrem Rücken, mit feuchten, nicht sehr sauberen Stiefeln, einen groben Wollschal um Hals und Kopf gewickelt und mit trotzigem Blick, in dem peinlich ordentlichen Raum mit seinen erlesenen Möbeln und dem kostbaren Zierrat.
Elena war aufgesprungen, um sie an ihr Herz zu ziehen, doch der Anblick der ungepflegten, jämmerlichen Gestalt ließ sie mitten in der Bewegung innehalten.
»Du?«, fragte sie entsetzt. »Du behauptest, meine Tochter zu sein?«
»Elena, das ist Antonia Dahmen, die Ziehtochter der Marktfrau Elisabeth Dahmen, die das Mädchen vor sechzehn Jahren an Mutter statt angenommen hat.«
»Das kann nicht wahr sein!« Elena wankte zu ihrem Sessel zurück.
»Ich habe versucht, dich darauf vorzubereiten, Elena.« Hermann Waldegg machte einen Schritt auf Antonia zu, die wieder fluchtbereit aussah. »Antonia, nimm es meiner Frau nicht übel. Sie ist zu überwältigt von der Neuigkeit. Noch einmal herzlich willkommen zu Hause, mein Kind. Nun werden wir als Allererstes mein Versprechen einlösen. Ein dampfend heißes Bad wartet oben auf dich.«
Er führte die widerstrebende Antonia die Treppen empor, zeigte ihr das Zimmer und den Baderaum. Staunend steckte sie ihre Nase dort hinein.
»Ein Zimmer nur zum Baden?«
»Luxuriös, nicht wahr? Wir ließen es vor drei Jahren einbauen. Hier sind Handtücher und Kleider. Sie müssten dir passen. Über alles andere können wir nachher reden. Wir essen in einer Stunde. Wird das für dich reichen?«
»Uh, ja. Ich bin nicht eitel!«
»Noch nicht, meine Liebe, noch nicht.«
Als sie zu Tisch gingen, hatte Elena sich wieder beruhigt und war nun bereit, ihrer Tochter mit größerer Toleranz zu begegnen. Antonia, frisch gebadet, die dunkelblonden Locken gekämmt, in sauberen Baumwollhosen, einem weißen Hemd mit Umlegekragen und einer blauen, kurzen Jacke, sah wie ein adretter Schuljunge aus. Sie lächelte ihr zu und deutet auf den Stuhl neben ihrem Platz.
»Ich scheine einem hübschen Jungen das Leben geschenkt zu haben, Antonia. Setz dich zu mir, wir wollen unser erstes gemeinsames Mahl genießen.«
»Wie Sie wünschen, Madame.« Antonia hockte sich vorsichtig auf den zierlichen, brokatbezogenen Stuhl und bestaunte die Tischdekoration. Silberne Leuchter, frische Blumen, Damastservietten, feines Porzellan, geschliffene Gläser – sie fragte sich, wozu dieser Aufwand getrieben wurde, hielt aber vorsorglich den Mund. Hauptsache, es gab bald etwas zu essen.
Johann servierte. Vor ihr stand eine Schale mit einer blassen Flüssigkeit, in der einige in Blütenform ausgeschnittene Gemüsestückchen schwammen. Hungrig hob Antonia die Suppentasse an die Lippen und trank sie schlürfend aus. Dann begegnete sie Elenas konsterniertem Blick.
»Wir haben das Tischgebet noch nicht gesprochen«, mahnte sie mit ruhiger Stimme und rückte ihre Serviette zurecht.
»Entschuldigung.«
Hermann Waldegg sprach ein schlichtes Gebet und griff zum Löffel, um ihn in seine Suppe zu tauchen.
»Nimm dir etwas Brot und Butter, Antonia.«
Die dünnen Scheiben lagen in einem silbernen Körbchen, die Butter, zu kleinen Röschen geformt, auf einem Glasteller. Antonia bemühte sich, es Elena nachzumachen und sich mit einem der vielen Messer davon etwas auf das Weißrot zu streichen. Es zerkrümelte unter ihrer Hand. Also stopfte sie es sich ohne viel Federlesens in den Mund. Sie schob die
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