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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Oberdorfer
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hat Angst vor Bedrohungen, alptraumhaft-ekstatische Angst, solange alles im Unbestimmten bleibt, doch wenn die Gefahr sich realisiert, der Feind sich zeigt und auf einen losgeht, reagiert man kühl und nüchtern, so als hätte man sein ganzes Lebenlang nichts anderes getan, als sich gegen Männer zu verteidigen, die einen mit einer Axt in der Hand attackieren. Denn ein Mann, der eine Axt schwang, war tatsächlich nur wenige Meter entfernt hinter einem Baum hervorgesprungen und stürzte jetzt auf mich zu. Sein Gesicht war von einer dieser Mützen verdeckt, die hier im tiefen Winter und sonst nur von Bankräubern getragen wurden. Es gelang mir in den Sekundenbruchteilen, die mir dafür blieben, meinen Fuß aus dem Dickicht herauszuziehen und mich auf die Seite zu rollen, als der erste Axthieb durch die Luft schnitt und neben mir in die Äste krachte. Der Mann, dem ich durch die Körperdrehung meinen Rücken zuwandte, ließ die Axt zunächst liegen und stieß mir seinen Stiefel ins Kreuz, um zu verhindern, dass ich dem nächsten Hieb ähnlich flink entkam. Ich blieb ruhig, drehte den Kopf, sodass ich aus dem Augenwinkel sehen konnte, wie er sich über mir aufrichtete und die Axt hoch in die Luft schwang. In diesem Moment drehte ich mich ruckartig um, rollte mich allerdings nicht von ihm weg, sondern zu ihm hin und stieß ihm ein Aststück, das ich in der Hand hielt, mit aller verfügbaren Gewalt in den Unterleib, wo es am meisten weh tat. Der Unbekannte schrie so laut und so wütend, wie jedermann in seiner Lage schreien würde, sodass aus dem Klang seiner Stimme nicht hervorging, wer er war. Er schien über seine eigene Stimmgewalt zu staunen und ich nutzte die Augenblicke, die er mir einräumte, um mich aufzurichten und einen kräftigen Stock in die Hand zu nehmen. Wir standen uns gegenüber. Unsere Blicke kreuzten sich, wir kannten uns, ich fühlte, dass wir uns kannten, und doch war es unmöglich, jemanden nur aufgrund seines Blickes zuerkennen. Ich sah in seinen Augen sehr starken, geradezu hysterischen Hass. Jetzt schienen sie mit einem weicheren Blick respektvoll zu vermerken, dass ich mich trotz ungleicher Bewaffnung auf einen Kampf einließ. Der andere tat einen Schritt nach vorn und es geschah genau das, was in dieser Situation meine einzige Hoffnung gewesen war: Diesmal brach er in dem Gewirr der morschen Äste ein, und zwar tiefer als ich zuvor. Sollte ich sofort fliehen oder zuerst versuchen, ihn unschädlich zu machen? Ich schwankte hin und her, wandte mich ab und drehte mich wieder um, ein paarmal geschah das, und der Angreifer schaute mich verblüfft von unten herauf an, als führte ich eine Art Beschwörungstanz auf. Dann fasste ich mir ein Herz und schwang den Stock mit aller verfügbaren Kraft durch die Luft, auf meinen Gegner zu, aber der parierte mit der Axt. Ich schlug wieder zu, während ich zuvor auf den Kopf gezielt hatte, zielte ich jetzt in die Seite, er parierte, ich schlug zu, zielte in die andere Seite, er parierte wieder. Es fiel ihm lächerlich leicht, meine Angriffe abzufangen, weil sie zusammenhanglos und ohne Strategie vorgetragen waren. Der schwere Stock war zwar eine gute Waffe, aber ich konnte sie nicht richtig gebrauchen. Sie ermüdete mich, schon nach dem dritten Streich hatte ich nicht mehr die Kraft, den Stock noch einmal zu heben. Ich erwähne nur nebenbei, dass der Kampf, der da im Gang war, in mir keinerlei zusätzliche und schon gar keine übermenschlichen Kräfte freilegte, von denen man oft hört, wenn vom Kämpfen die Rede ist. Ich fand es ärgerlich, so beansprucht zu werden, und wollte wieder meine Ruhe haben. Der andere schien meine Pause zu nutzen, um sich aus dem Di-ckicht herauszuarbeiten, und da er dazu beide Hände benutzte, war er einen Moment lang wehrlos. Jetzt hätte ich ihn erwischen können!
    »Wer bist du? Hast du den Kreuziger erschlagen?«, fragte ich stattdessen. Blitzschnell griff er, obwohl noch nicht ganz befreit, wieder nach seiner Axt und schwang sie durch die Luft. Ich machte einen Satz zurück, und weil ich gerade in der Rückwärtsbewegung war, behielt ich sie bei und rannte davon, Hals über Kopf. Der andere sprang aus dem Loch und lief mir nach. Ich hatte einen geringen Vorsprung. Er war lang und schlank, ich dagegen lang und dick. Ich hörte, dass er mir immer näher kam. Bald würde er versuchen, mich mit der Axt zu erwischen, und da pfiff es auch schon hinter mir, und die Axt landete mit einem dumpfen Geräusch im Waldboden. So gewann ich

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