Kreuzzug
drüben«, berichtete einer der Assistenten nach der Begehung des Geländes. »Auch auf dem Parkplatz geht es überall zu wie in einer Kesselschlacht. Das sieht zwar dramatisch aus mit all dem Blaulicht und den Einsatzfahrzeugen, aber es rennt ständig irgendwer durchs Bild.«
»Toll wäre natürlich oben«, mischte sich Carolin von Brunnstein ein.
»Oben?«, riefen die beiden Männer verblüfft und wie aus einem Mund.
»Klar, oben. Dort sind die armen Leute, die deine Männer gerade evakuieren. Dort ist das Gipfelkreuz , dort ist Schnee. Dort ist einfach was los.« Die Ministergattin begeisterte sich immer mehr für ihre eigene Idee.
»Caro, du hast wie immer recht«, pflichtete ihr von Brunnstein bei. »Oder haben Sie eine bessere Idee, Körbi?«
»Denn aber man tau. Es ist jetzt kurz vor vier, wir haben nur noch wenig Licht. Wo können wir dort oben sicher landen?« Der Fernsehmann eilte mit dynamisch federnden Schritten zurück in den Konferenzraum, wo der Krisenstab tagte. »Sie, von der Zugspitzbahn , wo können wir dort oben sicher landen und haben tolle Sicht auf den Gipfel? Aber so, dass nicht jeder uns niederrennt?«
» Schneefernerhaus . Ist für die Öffentlichkeit geschlossen. Platz genug ist da, und Sie haben das ganze Panorama übers Platt und auf den Gipfel«, warf Zugspitzbahner August Falk dem Moderator zu, bevor er sich wieder der Diskussion mit dem Katastrophenschützer des Landratsamts widmete.
»Sehr gut«, stimmte der Ministerpräsident zu. »Das ist eine Klimaforschungsstation, da können wir zeigen, wie fortschrittlich wir Bayern sind!«
»Vergiss bitte nicht, Hans-Peter, es geht hier nicht um deine Wiederwahl im Herbst, sondern um das dramatische Schicksal der im Tunnel eingeschlossenen und der fünftausend Leute dort oben«, wies ihn Philipp von Brunnstein mit einem Blick über den Rand seiner Brille zurecht.
»Sattelt die Hühner!« Jens Körber war nicht mehr zu bremsen. Schon schwang er seinen Körper aus der Terrassentür des Konferenzraums und flankte über die niedrige Balustrade, die das Hotel zum See hin abgrenzte. Er landete sicher auf dem schneebedeckten Eis des Sees und marschierte stracks zu seinem Helikopter. Dem Piloten gab er mit seinem über dem Kopf rotierenden rechten Zeigefinger das Zeichen, die Maschine zu starten. Dann drehte er sich zum Hotel um und befahl seine Leute und das Ministerehepaar mit »Los, weiter, auf geht’s!« und einem weiteren »Denn man tau!« in die Maschine.
Mit wehendem Lodenmantel stolperte der Ministerpräsident hinterdrein. Sein Pressereferent Dr. Schwablechner wollte auch mit, aber im mit allerhand Kamera- und Lichtausrüstung beladenen Hubschrauber war kein Platz mehr. Lackner vertröstete ihn, man sei ja in spätestens einer Stunde wieder unten. Er wies ihn an, für Körber, die von Brunnsteins und ihn in einer der requirierten Suiten ein Abendessen für 19 Uhr 30 vorbereiten zu lassen. Und Carolin von Brunnstein sollte direkt nach ihrer Rückkehr vom Gipfel anderthalb Stunden lang das Spa des Hotels allein gehören.
Kapitel fünfunddreißig
Waggon der Zugspitzbahn , 15 Uhr 55
D ie Geiseln saßen in Schockstarre auf ihren Plätzen. Seit der Mann kaltblütig erschossen worden war, hatte niemand auch nur einen Ton von sich gegeben. Nun zog einer der Maskierten das Mikrofon am langen Spiralkabel aus dem Führerstand der Zahnradbahn und stellte sich in den Gang, dann schepperte seine Stimme aus den in der Deckenverkleidung des Zuges eingelassenen Lautsprechern. Er sprach Deutsch mit einem harten arabischen Akzent.
»Allah ist groß. Sie alle sind Teil seines göttlichen Plans. Wir sind Teil seines göttlichen Plans. Gott wird jeden Widerstand gegen diesen Plan brechen. Jeder von Ihnen ist zwei Menschenleben wert, das eigene und das eines unserer Brüder. Für jeden von Ihnen wird einer unserer Brüder aus amerikanischer Haft entlassen werden. Wie lange das dauert, liegt in der Hand der Amerikaner. Wir sind machtlos. Darum möchten wir, dass Sie alle überleben. Wir haben heute bereits einen unserer Brüder durch einen der Ihren verloren. Wir werden daher bei weiteren Problemen Sie alle fesseln und festbinden müssen, um Sie selbst und unsere Brüder zu schützen.« Anschließend wiederholte er seine Ansprache auf Englisch.
Thien Hung Baumgartner wunderte sich nicht darüber, dass die Terroristen Gesinnungsgenossen freipressen wollten. Damit hatte er sogar gerechnet. Er wunderte sich allerdings darüber, wie viele inhaftierte
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